Ev. Kirchengemeinde Am Groß-Glienicker See

Unterm Schilfdach - März bis April 2020

An dieser Stelle schreibt Pfr. Alexander Remler regelmäßig über das Gemeindeleben der Schilfdachkapelle. 

 

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Do 30.4.20, 10:01: Heute Abend, Treffen der Gemeindeleitung. Also, Treffen... – natürlich bleiben wir auch diesmal wieder alle schön zu Hause vor unseren Bildschirmen sitzen. Und sind zur Videokonferenz verabredet. Bei mir hat sich schon längst eine „Zoom Fatigue“ eingestellt. Das ist das, was die meisten kennen, die in den vergangenen Wochen täglich mehrere Stunden in wechselnden virtuellen Sitzungen verbracht haben. „The medium is the message“, hat Marshall McLuhan gesagt, der Medientheoretiker. Der Apostel Paulus, ein anderer Medientheoretiker, sagt: „Wir sind das Medium, das Evangelium ist die Message.“ Okay, wörtlich hört sich das bei ihm so an: „Es ist offenbar geworden, dass ihr ein Brief Christi seid, geschrieben nicht auf steinerne Tafeln, sondern auf fleischerne Tafeln der Herzen“ (2. Kor 3,3). Aber grau ist alle Theorie, praktisch heißt das: Nicht sollte, würde, könnte, sondern machen, das zählt. Heute Abend in der Sitzung – und jeden Tag.

Mi 29.4.20, 15:11: Heute, Homeoffice. Und der Versuch, ein Traugespräch am Handy zu führen, während drei kleine Kinder versuchen, gemeinsam Holzeisenbahn zu spielen. „Ich übernehme sehr gerne die Trauung von Ihnen… LASS DAS SOFORT SEIN… dieses Fest der Liebe… NICHT SCHLAGEN, HAB ICH GESAGT… bei dem wir um Gottes Segen bitten wollen… SOFORT AUFHÖREN, MENSCH…“ Und so weiter. Homeoffice hört sich gut an. Aber bei Eltern mit Kindern kippt die Work-Life-Balance in nullkommanix aus dem Gleichgewicht. Wie sehr, habe ich heute gedacht, kann ich Jesus verstehen, als er vor Aufnahme seiner Berufstätigkeit als Wanderprediger im galiläischen Land erst einmal in die Wüste ging, um sich dort 40 Tage und Nächte zu sortieren (Mt 4). Und sich einzustellen auf das, was da kommen mochte, an Schwierigkeiten, Herausforderungen, Versuchungen. Apropos, im Vaterunser heißt es: „Und führe uns nicht in Versuchung.“ Ich merke: Da brauche ich keine Führung, da finde ich oft ganz alleine hin. In die Versuchung etwa, alles gleichzeitig machen zu können oder zu müssen. Muss ich wirklich? Ich nehme mir vor: Wenn ich wieder mit den Kindern zusammen bin, lege ich das Handy zur Seite. Manches kann auch warten.

Di 28.4.20, 9:21: Gestern war ich am Nachmittag mit den Kindern an der Kapelle. Unser Organist Michael Hoeldke hat auf der Orgel eine Bach-Fuge geprobt. Die Kinder haben mit Ästen und Zweigen im nahen Wäldchen einen „Geheimweg“ gebaut. Hin und wieder ist ein Spaziergänger stehen geblieben. Und ich habe gemerkt: Ich bin jetzt mal bereit für den Frühling. Wie schön das gerade alles ist rund um die Schilfdachkapelle! Wo die Blumen, die Annette und Robert gepflanzt haben, so vor sich hin blühen, sich keine Gedanken machen, ob die Blume links oder rechts schöner oder schneller ist, sondern einfach blühen. „Schaut die Lilien auf dem Feld an, wie sie wachsen“, sagt Jesus in der Bergpredigt (Mt 6,28). Und: „Seht die Vögel unter dem Himmel an“ (Mt 6,26). Ich stelle mir Jesus hier so vor, als würde auch er über die Schöpfung staunen. Dabei bin ich überzeugt, dass niemand das Leid der Welt besser verstehen konnte als er. Aber gerade deshalb spricht er zu den Geängstigten seiner Zeit von der Sorglosigkeit. Und zeigt uns, dass wir alle, die Blumen und Vögel und du und ich am Ende in Gottes Hand, die sich bewahrend um uns kümmert. Damit will ich heute durch den Frühling gehen.

Mo 27.4.20, 11:50: Vor Jahren, als ich selber noch zur Schule gegangen bin, hieß es immer: „Das ‚F‘ in Montag steht für Lebensfreude.“ Wie bitte, Montag schreibt sich doch gar nicht mit „F“? Ganz genau. Montag, das war immer der Tag, an dem mir klar wurde, dass ich mit dem Wochenende noch längst nicht fertig war. Zugegeben, seitdem ich Pfarrer bin, hat sich mein Verhältnis zu Sonn- und Montagen etwas verändert. Und schon in der Bibel ist vom Sonntag als dem „ersten Tag der Woche“ die Rede. Am Ostermorgen, als Maria zum leeren Grab ging, in dem Jesus schon nicht mehr zu finden war (Joh 20,1). Aber alle Überlegungen ändern aber nichts daran, dass für viele der Jugendlichen, die als Teamer in unseren beiden Gemeinden engagiert sind, heute ein ganz besonderer Montag ist. Denn nach den Abiturienten gehen nun auch die Schüler der 10. Klassen wieder zur Schule. Ich habe einmal herumgefragt. „Zu früh“, finden manche die Öffnung. Als „Versuchskaninchen“, fühlen sich andere. „Gemischte Gefühle“ haben wohl alle. Aber natürlich finden sie es auch schön, nach sechs Wochen endlich wieder unter Freunde zu kommen – wenn auch mit Maske und auf Abstand. Uns anderen bleibt nur zu wünschen: Bleibt gesund und behütet!

So 26.4.20, 10:03: Auf den Tag genau vor 67 Jahren, am 26. April 1953, wurde die Schilfdachkapelle eröffnet. An einem sonnigen Sonntag, ungefähr so schön wie heute, konnten die Besucher die Kapelle schon von weitem sehen. Die Waldallee war noch lange nicht so dicht bebaut. Manchem ging beim Anblick des neuen Gotteshauses der Gedanke durch den Kopf: „Sieht aus wie ein Stall.“ Und das war gar nicht so verkehrt, denn der Baumeister Max Tarrach hatte sich bei der Panung an einem niedersächsischen Schafstall orientiert. Pünktlich um elf Uhr ging es los, begannen die Posaunen zu spielen. „Nun danket alle Gott“, sang die Gemeinde, darunter Bischof Dibelius und Pfarrer Stintzing. Seit damals, seit dem Sonntag Misericordias Domini, hat es in der Schilfdachkapelle ununterbrochen Gottesdienste gegeben – bis zu diesem Jahr. Und nun warten wir auf die Wiedereröffnung. Und überlegen, wie unter den derzeitigen Auflagen wieder sinnvoll Gottesdienste gefeiert werden können. Gottesdienste, die zugleich Freude machen und bei denen sich Besucher auch sicher fühlen können. Allen einen gesegneten Sonntag!

Sa 25.4.20, 10:45: Manchmal fühle ich mich wieder wie mit 15 oder 16 Jahren: Die Haare lang und länger, die Benzinpreise im Dauertief und ich ständig unter Hausarrest. Wobei, das mit den Haaren ist immerhin bald vorbei, wenn die Friseure wieder arbeiten dürfen. Trotzdem können es manche kaum mehr erwarten. Grünen-Chef Robert Habeck ist sogar beim Versuch, sich selbst eine neue Frisur zu verpassen, fotografiert worden. „Aber doch bitte nicht mit der Papierschere“, hat Altmeister Udo Walz dazu gesagt. Andere wie CSU-Chef Markus Söder ertragen die letzten Tage bis zum nächsten Schnitt mit stoischer Ruhe. Und Super-Virologe Christian Drosten sieht sowieso immer so aus, als ließe er an Head & Shoulders nur Apfelessig und Lorbeerseife. Als Pfarrer denke ich bei Haaren immer an Samson, den stärksten Mann des Alten Testaments (Ri 13-16). Der nur so stark sein konnte, weil er lange Haare hatte. Und nur so schwach wurde, weil er bei Frauen seinen Mund nicht halten konnte. Rein äußerlich betrachtet hat er wohl so ausgesehen wie der ältere Bruder von ZZ Top. Samson ging nie zum Friseur. Und solange das so war, konnte er auch mal das Stadttor von Gaza aus der Angel heben. Was uns das sagt? Dass wir noch ein bisschen stark sein müssen, bevor es heißt: Weg mit den alten Zöpfen! Allen ein schönes Wochenende. Und keine haarigen Themen mehr!

Fr 24.4.20, 14:00: Für viele Muslime in Deutschland hat der Fastenmonat Ramadan begonnen. Und für muslimische Gläubige wird in diesem Jahr auch alles anders sein als sonst. Eine Erfahrung, die wir unseren abrahamitischen Glaubensgeschwistern durch den Wegfall unserer Oster-Gottesdienste schon voraus haben. „Betet zu Hause“, werden heute Abend viele Muezzine rufen. Sie ersetzen damit den traditionellen Ruf: „Kommt her zum Gebet.“ Tröstlich finde ich das Grußwort zum Ramadan, das von unserem EKD-Ratsvorsitzenden kommt. Heinrich Bedford-Strohm verweist auf den Bibelvers für den Monat Mai und dabei auf das Miteinander der Religionen: „Dient einander als gute Verwalter der vielfältigen Gnade Gottes, jeder mit der Gabe, die er empfangen hat“ (1. Petrusbrief 4,10). Heißt: Gottes Gnade ist vielfältig, sie hat verschiedene religiöse Ausdrucksformen. Gemeinsam ist allen Gläubigen aber, dass mit der Zeit der Prüfung auch die Gewissheit wächst, dass sich Geduld und Gottvertrauen am Ende auszahlen werden.

Do 23.4.20, 16:18: Gestern Abend, zu Hause auf dem Sofa. Auf dem Laptop ein Film aus alten Zeiten. Also aus dem vorigen Jahr oder so. Zu sehen jedenfalls: Freunde, die sich zum Essen treffen. Und ich denke: Na sowas. Zur Begrüßung eine Umarmung, Küsse sogar. Gibts doch nicht! Und dann – Achtung! – setzen sich alle nebeneinander an den Tisch und berühren sich auch noch dauernd. Ich konnte der weiteren Handlung kaum folgen, weil ich mich gefragt habe: Wann kommt wohl diese Unbefangenheit zurück? Was anderes: Mit Hannes, meinem Sohn, habe ich neulich ein Paket zu Freunden gebracht. Der Kleine, vier Jahre, legt das Paket, ohne dass ich was gesagt hätte, schnell auf die Schwelle und entfernt sich gleich wieder. Und ich werde traurig, als ich sehe, wie sehr er die Corona-Regeln schon verinnerlicht hat. Wird er das wieder los? „Grüßt euch mit dem heiligen Kuss“, empfiehlt der Apostel Paulus in einem Brief, ebenfalls aus alten Zeiten. Das ist der Anfang einer Tradition, des öffentlichen Kusses, des Friedenskusses, wie man früher gesagt hat. Später wurde daraus der Friedensgruß und schließlich das Händeschütteln. Alles Gesten, die Verbundenheit schaffen. Und wir so? Nächste Woche ist Distanz in den Mai. Mich beschäftigt die Frage: Und wann wieder Tanz in den Mai?

Mi 22.4.20, 9:41: Seit Beginn der Corona-Krise führe ich deutlich mehr Gespräche als vorher. Die meisten am Telefon, manche über den Gartenzaun, andere beim Spazierengehen. Gerade war ich unterwegs mit einer engagierten Mutter aus unserer Gemeinde, die sich lange mit der Frage herumgequält hat, was sie im Leben überhaupt auf die Beine gestellt hat. Meine vorsichtige Antwort: „Die Kinder?“ Sie hat dann diese Antwort hier gefunden: „Mich. Immer wieder.“ Das fand ich viel schöner. Ich habe ihre Erlaubnis, das hier teilen zu dürfen, weil ich das sehr tröstlich fand. Ich glaube: Wir müssen uns alle zurzeit immer wieder auf die Beine stellen – und das allein ist keine geringe Leistung. Wie gut, dass wir gestern erfahren haben, ab dem 4. Mai auch wieder Gottesdienste auf die Beine stellen zu können. Noch lange nicht so, wie wir das gewohnt sind. Aber immerhin. „Und das Leben geht weiter.“ Noch so ein Satz, der Trost spendet, wenn etwas nicht gut läuft. Für mich hat er in diesen Tagen eine ganz neue Bedeutung: Wie gut, dass das Leben wieder weiter geht.

Di 21.4.20, 10:17: In meinem ersten Studium, vor vielen Jahren, habe ich irgendwann angefangen, Filmkritiken zu schreiben. Für ein Studentenmagazin, das niemanden wirklich interessiert hat. Ich glaube: Außer meiner damaligen Freundin hat keiner auch nur einen einzigen Artikel gelesen. Aber das hat mich nicht abgehalten, mich etwas großspurig als „Filmjournalist“ beim Festival von Venedig zu bewerben. Und die Bewerbung ging durch. So konnte ich einen ganzen Sommer auf dem Lido verbringen – mit wenig Geld, aber vielen Filmen. Und abends saß ich oft auf den Stufen vor der „Salute“, einer weißen Marmorbasilika, gleich vorne am Canale Grande. Traumschön. Vor einer Kirche, die gegen die Pest gebaut worden war. Mit Kunst gegen die Seuche, mit Tizian gegen die Trauer. Skurril, fand ich das, bis … Corona. Denn nun lese ich immer wieder, dass die „Salute“ vielen erneut Trost gibt. „Solange der Mensch zu solchen Höhen fähig ist, hat es Sinn weiterzumachen“, sagt der Autor Damiano Femfert. Er meint: Wenn das Leben aus den Fugen gerät, besinnen wir uns häufig auf das, was uns erst zu Menschen macht: Kunst, Architektur, Religion. Eine schöne Hoffnung. Und ich freue mich auf den Tag, an dem wir wieder gemeinsam in der Schilfdachkapelle Gottesdienst feiern können.

Mo 20.4.20, 9:21: „Wie geht es uns?“ – Das war die Frage gestern. Mehr als 30 Antworten haben mich erreicht – vielen Dank! Und es war alles dabei: Von Einsamkeit und Verzweiflung bis zu Hoffnung und Euphorie. Hier eine Auswahl, Puzzleteile eines Stimmungsbildes unterm Schilfdach:

 

„Die 6,99 Euro für den Jahresplaner hätte ich mir jedenfalls sparen können.“

„Wir wachsen als Familie zusammen.“

„Mir geht es definitiv schlechter als vor Corona.“

„Ich hoffe insgeheim, dass die Schule noch länger geschlossen bleibt.“

„Bin ich neuerdings pollenallergisch oder hab ich doch den Virus? Mit leichtem Verlauf? Sind das Kopfschmerzen? Kenn ich bei mir sonst nicht.“

„Manchmal fühlt man sich auch isoliert.“

„Das Stimmungsbarometer schwankt.“

„Es geht uns GUT.“

„Den Kindern geht es sehr schlecht damit, dass sie ihre Freunde nicht treffen dürfen.“

„Bisher kamen mir die verordneten Regeln sinnvoll vor. Seit kurzem kommen mir daran allerdings Zweifel und ich strauchle in meiner ‚Gehorsamkeit‘.“

„Ich muss zu den vielen anderen Aufgaben in dieser Familie nun auch noch Lehrerin sein.“

„Homeoffice mit drei Kindern ist ein Ding der Unmöglichkeit.“

„Mein Sohn wird keine Einschulungsfeier erleben dürfen.“

„Um nicht in die Depression zu verfallen, habe ich mich vor ein paar Tagen ‚zufällig‘ bei einer Freundin im Garten eingefunden.“

„Musste die Natur sich nicht mal wehren?“

„Ich bin so dankbar, endlich mal in den Büchern zu stöbern können, die ich mir gekauft habe.“

„Uns fehlt der sonntägliche Gottesdienst in der Schilfdachkapelle.“

„Spätestens seit der jüngsten ‚Lockerung‘ halte ich das komplette Verbot von Gottesdiensten für unvereinbar mit Art. 4 GG.“

 

Euch allen einen guten Wochenstart!

So 19.4.20, 11:49: „Wie geht es uns?“ – Das fragt „Die Zeit“ seit Jahren ihre Leser. Und erstellt aus den Antworten bunte Stimmungskurven. Aus denen lässt sich ablesen: Mal besser, mal schlechter. Wenig überraschend insgesamt. Seltsam ist nur, dass es den Menschen in Zeiten des Corona-Ausbruchs grundsätzlich besser zu gehen scheint als davor. Und ich frage mich: Atmen etwa nicht nur Natur und Tiere, sondern auch wir Menschen durch die erzwungene Verlangsamung spürbar auf? Doch selbst wenn, bleibt das nur die eine Seite. Die andere ist: Alle hübschen Online-Brotback-Seminare und gestreamten Wohnzimmer-Workouts können nicht darüber hinweg täuschen, dass die soziale Isolation bei vielen Menschen zu einem massiven Einbruch in der emotionalen Grundversorgung darstellt, der für die seelische Verfassung verheerend ist. „Der Mensch lebt nicht nur vom Brot allein“, sagt Jesus zur Versuchung des Teufels in der Wüste (Mt 4,4). Aber stimmt das? Hier, bei uns, in Deutschland, wo der Besuch eines Gartencenters für wichtiger – „systemrelevanter“ – gehalten wird als der eines Gottesdienstes? Deshalb heute die Frage: Wie geht es uns? Schreibt mir doch bitte eure Antworten. Allen einen gesegneten Sonntag!

Sa 18.4.20, 15:08: Und ich hatte gedacht, heute mit den Kindern einfach nur ein bisschen Playmobil zu spielen. Aber nein. Ein Hauen und Stechen. „Der Pirat gehört mir!“ – „Die Pferdedusche habe ich aber von Oma und Opa bekommen.“ Und so weiter. Alles mit Gebrüll und Gemotze. Und ich? Habe mich gefühlt wie unter den Arbeitern im Weinberg des Herrn. Weiß nicht, wer die Geschichte aus dem Matthäusevangelium (Mt 20,1-16) im Kopf hat. Die Geschichte, die Konfirmanden wie keine zweite in Nullkommanix auf die Palme bringt. In der ein Weinbergbesitzer den gleichen Lohn an alle Arbeiter zahlt, und zwar – das ist die Pointe – unabhängig davon, wie lange und wie schwer sie gearbeitet haben. „Unfair“, „geht gar nicht“, „gemein“. Stichworte, die heute auch im Kinderzimmer fielen. Auch bei uns stand das Gerechtigkeitsthema ganz vorne an. Wie gut habe ich den Weinbergbesitzer verstanden: Im Bemühen, alle gleich zu behandeln, aber auch individuell auf jeden einzugehen. Am Ende saß ich ratlos auf dem Verkehrsteppich. Und nun: Wie komme ich raus aus diesem  Dilemma? Höre ich da von Ferne leise Jesus lachen und sagen: „Nur mit Liebe, immer wieder mit Liebe“?

Fr 17.4.20, 15:59: Es soll doch wirklich Leute geben, die zurzeit gerne zu Klassikern wie „Krieg und Frieden“ oder so greifen. Ich eher nicht. Dafür nehme ich mir gerade abends ein Buch mit ins Bett, zu dem mir sonst auch alle Geduld fehlen würde. „Fatum“, von Kyle Harper, amerikanischer Historiker. Um das Römische Reich zur Zeit der Ausbreitung des Christentums geht es. Gut, haut mich jetzt auch nicht direkt vom Hocker. Und ich schlafe beim Lesen auch öfter ein, als mir lieb ist. Auf der anderen Seite denke ich oft, wenn ich denn wach bleibe: „Ach nee, ist ja interessant.“ Die Parallelen zwischen damals und heute sind erstaunlich. Der Streit um Grenzen, der Klimawandel und die Angst vor Pandemien waren damals auch Dauerthemen. Und letztlich ein Grund für den Untergang des Imperiums. Es ist also ein Buch über Geschichte, das Gegenwart deutet. Dabei ist es nicht nur vor Corona, sondern auch vor Greta erschienen. Im Jahr 2017 im Original, vor wenigen Wochen auf Deutsch. Kurzum: Heute also eine Buchempfehlung: „Fatum“ – für alle, die reportagehaftes Erzählen und einen angelsächsisch-unterhaltsamen Zugang zu Geschichte mögen. Und heute, nehme ich mir fest vor, schlafe ich nicht sofort ein!

Do 16.4.20, 16:46: Hurra!!! Ach nee, doch nicht. So meine Reaktion gestern auf die geplanten Lockerungen der Corona-Beschränkungen. Kurz vorher hatte ich noch mit dem Besitzer eines Restaurants in Kladow gesprochen, der meinte, dass die nächsten Wochen für sein wirtschaftliches Überleben „entscheidend“ sein würden. Auch deshalb, zunächst: Hurra, als es hieß, dass Lockerungen kommen. Doch dann die Enttäuschung: Nicht nur Restaurants, auch Kirchen bleiben weiter geschlossen. Von unserem Bischof Christian Stäblein war heute zwar zu hören: „Wir loten im Gespräch aus, welche Möglichkeiten und Formen es vielleicht doch für Gottesdienste gibt.“ Aber klar ist: Geduld ist das Gebot der Stunde. Auch die Kitas sind weiter zu. Was uns immerhin die Möglichkeit gibt, weiter an einer Lösung für den Wasserschaden im Gemeindehaus zu arbeiten. Ausgeschachtet ist schon, nun kommt der Fußboden dran. Schon jetzt einen großen Dank an alle, die dabei mitdenken und mitarbeiten, vor allem: Matthias und Iris, Manfred, Torsten, Silke und Nils!

Mi 15.4.20, 11:29: Ich fange heute mal mit Shakespeare an. Mit Hamlet, vierter Akt, fünfte Szene, Vers 28. Dort steht: „Nein!“ –  Vorgestern, Ostermontag, habe ich mitgezählt, wie oft ich so nein sage. Ich war mit meinen Kindern im Garten. Und bin auf neun Neins gekommen. In nur zehn Minuten! Das macht pro Stunde… und auf den Tag gerechnet… ach, will ich gar nicht wissen. Zu viele Neins auf alle Fälle. Vor allem waren die meisten Neins völlig überflüssig. Das eine habe ich nicht so gemeint. Das andere ist wirkungslos verpufft. Das dritte konnte ich keine fünf Minuten durchhalten. Radikale Inkonsequenz, hat mal jemand sein Erziehungskonzept ironisch genannt. Ich erkenne mich da wieder. Und was mache ich nun? Frage meinen Erziehungsratgeber. Er heißt Jesus. Und spricht immer dann über Familien, wenn ihm etwas besonders wichtig ist. Er erzählt von einem verlorenen Sohn oder davon, dass wir alle wie Kinder werden müssten, um etwas von Gott zu verstehen. Heute sagt er: „Eure Rede aber sei: Ja, ja; nein, nein“ (Mt 5,37). Heißt: Wenigstens dabei bleiben, was man sagt. Bei Kindern – und sowieso. Wenn ich aus dem Büro nach Hause komme, denke ich daran, versprochen!

Di 14.4.20, 10:32: Heute Morgen war ich einkaufen, schnell vor dem Büro. Was war das nach den Feiertagen für ein Verkehr bei uns auf dem Ritterfelddamm! Nach den gespenstischen Autofahrten der vergangenen Wochen war ich ganz begeistert. In meinem ersten Stau nach Corona mache ich mir einen Sekt auf, alkoholfrei natürlich. Ja, ich hatte gute Laune. Und der Radiosprecher sagte über den Ablauf seiner Sendung: „Alles so wie immer.“ – Wie sehr ich mich inzwischen nach meinem alten Alltag sehne! Wie sehr mich das Gewohnte durchs Leben trägt, merke ich erst jetzt. So geht mir das übrigens auch mit der Bibel. Ein Krimi soll mich überraschen. Die Bibel nicht. In der Bibel möchte ich alte Bekannte treffen. Und besser kennen lernen. Die alten Mönche nannten das ruminatio, Wiederkäuen. Und meinten wohl das gleiche wie Dorothee Sölle: „Esst die Psalmen, jeden Tag einen.“ Ich weiß jedenfalls, was ich heute Abend machen werde: den Psalm 23 essen. „Und ob ich schon wanderte im finstern Tal, fürchte ich kein Unglück; denn du bist bei mir.“

Mo 13.4.20, 8:24: Nein, es hat nicht alles reibungslos geklappt. Am Ende der Vorbereitungen sind uns die Tüten ausgegangen, die Osterkerzen haben auch nicht ganz gereicht. Manchmal haben wir uns bei den Umschlägen verzählt. Aber darauf kam es nicht an. Denn im Großen und Ganzen hat unsere Osteraktion doch gut geklappt. Bei den allermeisten Mitgliedern unserer Gemeinden, die in Kladow wohnen, hat am Ostermorgen unsere Osterüberraschung vor der Tür gestanden. Und mich haben gestern im Laufe des Tages sehr viele Nachrichten, Mails, Anrufe und Fotos erreicht von Menschen, die „Danke“ sagen wollten. Das möchte ich gerne weitergeben. Und danke sagen für diese überwältigende Beteiligung an der Aktion. Dafür, dass es den beiden evangelischen Kirchengemeinden in Kladow gelungen ist, vielen Menschen eine kleine Osterfreude zu bereiten. Dafür, dass wir die Erfahrung machen durften: Nähe ist keine Frage von Entfernung! Danke!

So 12.4.20, 10:46: Wenn Gott einen toten Körper auferwecken konnte, dann kann er auch „____“ auferwecken.  Wir sammeln heute Antworten. Vor der Schilfdachkapelle. Die Kirche ist bis 15 Uhr geöffnet – zum Kerzenentzünden, zum  persönlichen Gebet oder für Zeit der Stille. Dazu spielt unser Organist Michael Hoeldke auf der Orgel.

So 12.4.20, 8:51: Gestern hat einer, auf den viele hören, gesagt: „Die Welt wird danach eine andere sein. Wie sie wird? Das liegt an uns!“ Frank-Walter Steinmeier, der Bundespräsident, in seiner Fernsehansprache. Und natürlich hat er dabei die Corona-Krise im Blick gehabt. Und doch kann ich gar nicht anders, als diese Worte heute auch auf das Osterfest zu beziehen. Denn das ist doch Ostern: Zu erleben, dass alles anders wird als es war. Und darauf zu vertrauen, dass es gut wird – und dass es dabei auf uns ankommt. Vor rund 2000 Jahren hat einer, auf den auch viele gehört haben, gesagt: „Ich war tot, und siehe, ich bin lebendig von Ewigkeit zu Ewigkeit.“ – Der Herr ist auferstanden – frohe Ostern!

Sa 11.4.20, 10:25: Mascha Kaléko hatte eine besondere Beziehung zu Kladow. „Ich denke oft an Kladow im April.“ Geschrieben und gedichtet hat sie häufig über Angst und Mut. Zwei Lebensthemen, die ihr eng vertraut waren. „Jage die Ängste fort/ Und die Angst vor den Ängsten.“ So beginnt das Gedicht „Die paar leuchtenden Jahre“. Wenn ich es wieder lese, merke ich: Es ist mein Gedicht für heute! Denn heute, am Ende des Tages, wenn es Nacht wird, beginnt eine besondere Nacht, die Osternacht. Eine heilige Nacht, in der bereits ein Licht scheint, ein Licht, das die Kraft hat, unsere Dunkelheit und alle Dunkelheiten wieder hell zu machen. Noch einmal Mascha Kaléko: „Zerreiß deine Pläne/ Sei klug/ Und halte dich an Wunder/ Sie sind lang schon verzeichnet/ Im grossen Plan/ Jage die Ängste fort. Und die Angst vor den Ängsten.“ – Hier kommt unser Film von der liturgischen Osternacht vor und in der Schilfdachkapelle.

Fr 10.4.20, 10:35: Und nun ist doch Karfreitag. Mir ist immer noch nicht ganz klar, wie das heute gehen soll. So ganz ohne Gottesdienste. Und so ganz in dem Bewusstsein, dass für viele Menschen unter dem Eindruck von Corona schon seit Wochen Karfreitag ist, zumindest Karfreitags-Stimmung herrscht. In normalen Jahren lasse ich mich gerne ein auf das Wechselspiel von Karfreitag und Ostersonntag, von Abstieg und Aufstieg, von Kreuz und Auferstehung. Aber normal? Ist zurzeit nichts. Und über Sorgen, Angst und Leid braucht uns zurzeit niemand etwas zu erzählen. Mir kommt der Gedanke: Karfreitag heute heißt aushalten, heißt Leid aushalten, Zweifel aushalten, Schmerz und Unglauben aushalten. Und darauf hoffen, dass es wieder bald weitergeht. Hier kommt unser Video zum Karfreitag.

Do 9.4.20, 14:15: Heute feiern wir Gründonnerstag. Den Tag, der einerseits noch zur Karwoche gehört, andererseits schon zur Osterfeier überleitet. Den Tag, nach keiner Farbe benannt, sondern nach dem mittelhochdeutschen Greinen und Weinen. Denn noch einmal, ein letztes Mal, kommt Jesus mit seinen Freunden zusammen. Sie essen Brot. Sie trinken Wein. Sie feiern Abendmahl. Und Jesus  kündigt an, dass er von einem von ihnen verraten wird. Was nun passiert, ist etwas, das mich persönlich schon immer beschäftigt hat. Die Jünger streiten nichts ab. Weisen nichts entrüstet von sich. Nein, sie werden traurig. Sie fragen, einer nach dem anderen: „Bin ich’s?“ (Mk 14,19) Aber warum? Warum können elf der zwölf Jünger nicht sagen: „Ich bin es nicht“? Am Ende der Nacht, bevor der Hahn drei Mal kräht, ist Jesus allein. Ganz allein. – Wir feiern heute keinen Gottesdienst. Die beiden Kladower Gemeinden haben aber ein Video produziert, das die Einsetzung des heiligen Abendmahls an Gründonnerstag zum Thema hat.

Mi 8.4.20, 11:39: Vieles, was gerade noch unvorstellbar schien, ist längst Wirklichkeit geworden. Eine Erfahrung, die wir wohl alle gemacht haben in den vergangenen Wochen. Und ich bin immer noch dabei, mich an den Gedanken zu gewöhnen, Ostern ohne Gottesdienste zu feiern. Dennoch ein paar Hinweise auf das, was in den nächsten Tagen möglich ist. An Karfreitag und Ostersonntag öffnen wir die Schilfdachkapelle von 10 bis 15 Uhr für die Möglichkeit, still zu beten, eine Kerze zu entzünden oder auch nur einen Moment für sich zu haben. Die „Verse der Zuversicht“ und die „Impulse für zu Hause“ unter der Überdachung wechseln wir ständig aus und sie können weiterhin mitgenommen werden. Außerdem bleibt der Pflanzenmarkt geöffnet – Robert Gummi stellt alle zwei Tage neue Pflanzen auf den Tisch am Gemeindehaus und hofft, dass viele seinem Beispiel folgen. Weiterhin gilt: Wer Hilfe braucht, zum Beispiel beim Einkaufen, bitte einfach melden. Und, ach so, so viel sei schon verraten: Für den Ostermorgen planen wir mit vielen helfenden Händen, allen Mitgliedern unserer beiden Kladower Gemeinden eine kleine Osterüberraschung vor die Haustür zu stellen. – Kommt gut durch die nächsten Tage!

Di 7.4.20, 16:00: Neulich, vor der Kapelle, ein kurzes Gespräch beim Kerzenanzünden. Mit einer Psychologin. Wir sprechen über Ängste, Unsicherheiten und das allgemeine Gefühl von Bedrohung in diesen Tagen. „Ich habe auch Angst“, sage ich. „Sie auch?“ Ich weiß nicht, ob sie wirklich überrascht ist. „Wo Sie doch so ein schönes Buch gegen die Angst haben.“ Ich brauche einen Moment, bis ich verstehe, dass sie die Bibel meint. Sie denke an die Psalmen, die meisten davon Angstgebete in Notsituationen. Oder an Berufungsgeschichten wie die von Mose oder Jona, die auch davon erzählen, eigene Ängste zu überwinden. Und natürlich denke sie an Jesus und wie er im Garten Gethsemane darum bittet, dass der Kelch an ihm vorüber gehen möge. Und wie wenig später sein Angstschweiß wie Blutstropfen zu Boden fällt. Es dauert, bis er bereit ist, sein Leben in Gottes Hände zu legen. „Angst ist nichts für Feiglinge“, sagt die Psychologin. Sie lacht. Und ich merke: Meine Aufgabe für die Karwoche: Stärker darauf zu vertrauen, dass Jesus meine Ängste kennt und mich durch alle Ängste begleitet. Noch ist nicht Karfreitag. Aber bald ist Ostern.

Mo 6.4.20, 11:09: Die Karwoche hat begonnen. Und was mir auffällt: Bei so vielen gegenwärtigen Sorgen fällt es mir schwer, auch noch an vergangenes Leid zu denken. Und doch: Es kann doch nicht sein, dass dieses Corona-Thema wirklich alle Bereiche meines Lebens beherrscht! Also denke ich heute an Dietrich Bonhoeffer, an diesen evangelischen Märtyrer, dessen Ermordung sich in dieser Woche zum 75. Mal jährt. An diesen großen Denker, für den Kirche nur dann Kirche war, wenn sie Kirche für andere sein konnte. Dem der transzendente Gott nur wenig sagte, der Gott stets in seiner Diesseitigkeit verstanden wissen wollte. Der am 9. April 1945, kurz vor Kriegsende, im KZ Flossenbürg hingerichtet wurde. Und ich denke daran, wie er wenige Monate vor seinem Tod noch dichten konnte: „Von guten Mächten wunderbar geborgen, erwarten wir getrost, was kommen mag.“ Und am Karmontag des Jahres 2020 überlege ich: Wenn Bonhoeffer im Angesicht seiner Henker so viel Vertrauen aufbringen konnte, möchte auch ich in dieser Karwoche versuchen, gegen alle gefühlte und tatsächliche Bedrohung an der Zusage festzuhalten, stets und allezeit von guten Mächten umgeben zu sein.

So 5.4.20, 10:18: Ich habe heute Morgen am Frühstückstisch mit meiner sechsjährigen Tochter ein Fachgespräch geführt – über das Ende von Geschichten. Denn eine Geschichte, so hat mir das Mina erklärt, gehe grundsätzlich immer gut aus. „IMMER!“, in Großbuchstaben und mit Ausrufungszeichen. Wenn nämlich eine Geschichte nicht gut ausgehe, sei das noch nicht das Ende, meinte sie. Ich wollte erst widersprechen… habe es dann aber einfach gelassen. Vielleicht, weil heute Palmsonntag ist. Und mir eingefallen ist, dass mit der Karwoche nun im Kirchenjahr eine Woche der Passion vor uns liegt, an deren Ende der Tod am Kreuz steht – der gerade nicht das Ende bedeutet. Denn die Geschichte geht über das Ende hinaus, bis sie eben gut ist. Am Ostermorgen. Und das ist für mich ein tröstlicher Gedanke. Grundsätzlich. Aber vor allem in diesen Wochen. Dass es irgendwann auch wieder gut wird. Und erst gestern habe ich in einem Kinderbuch meiner Tochter gelesen: „Vielleicht ist schon bald alles vielleichter.“ – Allen einen gesegneten Palmsonntag!

Sa 4.4.20, 10:49: Seit drei Wochen sind die Schulen und Kitas geschlossen – und auch unsere drei Kinder zu Hause. Wie lange noch? Keiner weiß es. Doch Langeweile? Ach iwo! Oder, besser gesagt: An Ideen herrscht kein Mangel. Ein kurzer Rückblick auf die Woche: Am Donnerstag sanken meine Frau und ich abends erschöpft aufs Sofa in der Hoffnung, dass die Kinder ausnahmsweise alleine einschlafen. Aber nicht doch! Fröhlich haben sie in ihren Betten gesessen und die Wände mit Buntstiften angemalt. Oder… am Mittwoch wurde es plötzlich so verdächtig still – höchstes Alarmzeichen! Und Tatsache: Munter saßen unsere beiden Vierjährigen in der Spielecke und haben sich gegenseitig mit ihren Bastelscheren eine neue Frisur verpasst. So läuft das zurzeit. Bei uns und in vielen anderen Familien. Und dabei ist der Alltag aus Apfelschorle im Nudelteller oder Nagelscheren in der Kloschüssel noch gar nicht erwähnt. – Nun ist Wochenende. Und wir haben die Hoffnung, dass es unsere Kinder so machen wie in der Schöpfungsgeschichte. Dort heißt es nach sechs anstrengenden Tagen: „Und Gott segnete den siebenten Tag und heiligte ihn, weil er an ihm ruhte von allen seinen Werken“ (Gen 2,3). Die heilige Ruhe des Sabbats, die wünsche ich heute besonders allen Familien! Schönes Wochenende!

Fr 3.4.20, 9:43: Der Frühling hat begonnen. Die Natur ist erwacht. Und wie schön ist der Anblick von frischem Grün und strahlend leuchtenden Blüten, gerade in diesen Tagen – oder? Aus diesem Grund haben wir trotz allem und – natürlich – unter Wahrung des Abstandsgebotes einen kleinen Pflanzenmarkt eröffnet: „Bring was, nimm was“, das ist das Motto, unter das Robert Gummi seine Idee zur Pflanzen-Tausch-Börse gestellt hat. Unter der Überdachung am Gemeindehaus steht nun ein Tisch, auf dem jeder Besucher eine oder mehrere getopfte Pflanzen abstellen oder mitnehmen kann. Wem es möglich ist, den bitten wir für mitgenommene Pflanzen um eine kleine Spende, die in der „Prayerbox“ neben dem Pflanzentisch oder im Briefkasten am Hauseingang hinterlassen werden kann. Falls mehrere Menschen gleichzeitig am Pflanzentisch eintreffen, bitte darauf achten, genügend Abstand zu wahren! Und wenn ich heute Morgen auf den Tisch schaue, sehe ich dort schon Waldmeister, Bärlauch, Waldanemone, Polsterglockenblume und Fenchel auf Gartenliebhaber warten.

Do 2.4.20, 16:33: Manchmal fühle ich mich in diesen Tagen wie einer dieser Dorfpfarrer, die man noch aus alten Schwarzweißfilmen kennt. Das Auto spielt bei mir gerade keine Rolle. Meist bin ich zu Fuß oder mit dem Fahrrad unterwegs und froh, wenn sich auf meinem Weg durch die Straßen mal ein Gespräch über den Gartenzaun ergibt. Dabei fällt mir häufig auf: Wie viel Segen zurzeit in der Welt ist! Doch, das meine ich wirklich so. Trotz oder gerade wegen des Virus sagen sich viele Menschen so viel Gutes wie selten zuvor. Und meinen es auch so. Doch „jemandem etwas Gutes sagen“, auf Latein „benedicere", das ist Segen. Jedes „Bleib gesund“ oder „Pass gut auf dich auf“ ist in diesem Sinne ein Segenswunsch von Herzen. Natürlich wissen wir alle, dass ein Segen allein kein Problem löst, kein Händewaschen und keinen Impfstoff ersetzt. Doch Segnen bedeutet, das Gute herbeizurufen in der Hoffnung, dass das Ungute nicht das letzte Wort behält. Das ist die Hoffnung dieser Tage. Also: „Passt auf euch auf!“

Mi 1.4.20, 16:46: Es bleibt alles anders als in normalen Zeiten. Körperlich sind wir mehr oder weniger auf Abstand gegangen. Aber umso wichtiger ist, dass wir als Gemeinde weiterhin aus einem Geist leben. Und überlegen, wie wir das in einem Alltag ohne Gemeindeleben hinkriegen können. Unsere Gemeindepraktikantin Sabrina Greifenhofer hat viele wunderbare Ideen. Gestern hat sie „Verse der Zuversicht“ und „Ideen für Zuhause“ an eine Wäscheleine vor dem Gemeindehaus gehängt. Geistliche Ermutigungen aus der Bibel und Impulse für jeden Tag. Eine Möglichkeit, verbunden zu bleiben. „Nehmen Sie sich, was Sie brauchen!“

Di 31.3.20, 14:16: In meiner alten Gemeinde gab es ein Pflegeheim, getragen von der Kirche. Am Eingang hing, ernst und schwer, ein Porträt von Johann Hinrich Wichern. Den kennt heute kaum noch jemand. Höchstens als Erfinder des Adventskranzes. Aber der Reformtheologe des 19. Jahrhunderts hat sich sehr für Nächstenliebe eingesetzt. „Niemanden zurücklassen“, war sein Motto. Es stand unter dem Porträt, an dem ich nie gerne vorbei gelaufen bin. Immer habe ich mich ertappt gefühlt. Nach dem Motto: Na, endlich, lässt du dich hier auch mal wieder sehen… In diesen Tagen denke ich wieder häufiger an Wichern. Ich frage mich: Was hätte er dazu gesagt, dass wir Menschen plötzlich „systemrelevant“ nennen – oder eben nicht. Die Alten, die Kranken, die Behinderten ganz offensichtlich nicht. Dabei gibt es allein 13 Millionen Menschen mit Beeinträchtigung in Deutschland. Ich wünsche mir dagegen: Wieder mehr Wichern wagen! Und bin froh, dass gerade viele Menschen aus unserer Gemeinde Hilfe anbieten: Bei Botengängen, Arztbesuchen, Einkäufen. Deshalb: Wer Hilfe braucht, bitte  einfach melden! Dieses Motto ist wieder erschreckend aktuell: Niemanden zurückzulassen.

Mo 30.3.20, 16:48: Meine Erinnerungen an die kirchenmusikalische Ausbildung im Predigerseminar sind bestenfalls gemischt. „Wer singt, betet doppelt“, ist ein Satz, der sich mir für alle Zeiten eingeprägt hat. Denn schon damals habe ich mit einer realistischen Einschätzung meiner Ton- und Melodie-Sicherheit gedacht: „Dann bete ich bestimmt nur halb so viel wie meine Kollegen.“ Manches ist inzwischen anders geworden. Ich singe mit großer Freude und Lautstärke, auch wenn ich einige Noten immer noch höchstens aus der Ferne grüße. Aber wirklich erstaunlich finde ich, wie das Singen gerade ein Comeback erlebt. Eben noch so was von „Old School“, wird nun von Balkonen, Terrassen und Fenstern gesungen, was die Mundorgel hergibt. Singen verbindet. Singen ist gesund. Das erkennen immer mehr Menschen. Für Bibelleser keine Neuigkeit. Denn schon ein Hirtenjunge namens David hat es in 1. Samuel 16 geschafft, den traurigen König Saul mit seiner Harfe aus seiner Depression zu holen. Daran denke ich heute, wenn ich singe: „Und lass uns ruhig schlafen/ Und unsern kranken Nachbarn auch!“

So 29.3.20, 20:31: Meine Stimmung hat sich heute dem Wetter angepasst. Gestern noch heiter und sonnig, heute so lala. Und dann fällt mir auch noch das "Evangelium der Vernunft“ in die Hände. Aus Wuhan soll es stammen, in einer Höhle soll es gefunden worden sein, vorige Woche erst… Jedenfalls geht es so: „Und es begab sich, dass Galiläa von einer schweren Seuche heimgesucht wurde. Damit die Kranken nicht die Gesunden ansteckten, wurden sie vor die Stadtmauern getragen. Jeder Kontakt wurde bestraft. Da ging ein frommer Mann namens Johannes zu Jesus, von dem er viel Gutes gehört hatte. ‚Rabbi’, sprach er, ‚es leiden viele Menschen, aber niemand besucht sie. Willst du nicht zu ihnen gehen und mit ihnen sprechen?’ Da herrschte Jesus ihn an: ‚Was für eine Idee! Ich könnte mich anstecken und vielen Menschen den Tod bringen!‘ Johannes erschrak. ‚Du hast recht, Meister. Wie dumm!‘ Und er weinte bitterlich. Da krähte der Hahn dreimal.“ – Und ich überlege: Was würde Jesus in unserer Situation heute sagen? Ich merke: Meine Antworten hängen von der Tagesform ab. Allen einen gesegneten Sonntagabend!

Sa 28.3.20, 15:11: Die Freiräume nutzen, die sich ergeben. Das nehme ich mir seit Tagen vor. Das Bücherregal im Wohnzimmer sortieren – das nehme ich mir seit Monaten vor. Hier haben die Kinder längst ihre eigene Ordnung etabliert, nach Farben, nach Größe, nach… was weiß ich. Also mache ich mich heute Vormittag mit einem Seufzer an die Aufgabe. Und lande schon kurz darauf mit einem meiner Lieblingsbücher aus dem Germanistikstudium auf dem Sofa: Franz Hessels „Flaneur“. Was ist das aus der Zeit gefallen, denke ich und blättere durch die Seiten. Von der schwierigen Kunst, spazieren zu gehen, erzählt Hessel. Am besten mit einer Schildkröte an der Seite, um so richtig langsam und absichtslos zu sein. Und wir? Dürfen nur aus wichtigen Gründen draußen sein. Und selbst dann wirkt es, als hätte jeder einen unsichtbaren Abstandshalter umgeschnallt. Gerade eben bin ich mit Hannes an der frischen Luft, als wir eine ältere Frau aus unserer Gemeinde treffen. Sie erzählt von ihren täglichen Spaziergängen. Sie gehe so lange raus, bis sie mit jemandem ein Wort gesprochen habe, erzählt sie. „Sonst bin ich den ganzen Tag alleine.“ Mein Vorsatz: Die Kunst, spazieren zu gehen, neu zu lernen!

Fr 27.3.20, 20:19: Im Moment sind wir dabei, eine Serie von vier kurzen Videos mit liturgischen Texten und Musik für die Osterfeiertage vorzubereiten. Danke an Florian Kronfeldt, der sich dafür ehrenamtlich als Regisseur zur Verfügung stellt. Nun müssen Nicolas Budde, Sabrina Greifenhofer und ich nur noch die „Scripts“ fertig schreiben. Heute hat es jedenfalls schon mal einen ersten Sound- und Bildtest in der Schilfdachkapelle gegeben. Das Ergebnis dieses improvisierten „Shootings“ ist ein kurzer Einspieler über unsere zwei geistlichen Orte, die an der Schilfdachkapelle neu entstanden sind. Und heute Nachmittag habe ich gesehen, dass Spaziergänger die Möglichkeit zum Kerzenentzünden schon nutzen. Viel Spaß mit dem Video!

Do 26.3.20, 10:21: Mit vielen anderen Familien teilen wir gerade ein ähnliches Schicksal: Die Eltern berufstätig, die Kita geschlossen, die Großeltern fallen bei der Kinderbetreuung aus. Und nun? Ist es die Aufgabe, so etwas wie einen neuen Alltag zu finden. Vorige Woche ist uns das noch weniger gut gelungen, als die Kinder manchmal bis abends in Schlafanzügen rumgetobt sind. Diese Woche bemühen wir uns um mehr Struktur. Dazu gehört, morgens, gleich nach dem Frühstück, eine halbe Stunde Sport: „Albas Sportstunde“, YouTube-Training mit dem Berliner Bundesligisten. Als die Schulen und Kitas geschlossen wurden, haben die Basketballer spontan ein tägliches Sportprogramm für Kinder und Jugendliche online gestelllt. Am Anfang wirkte vieles improvisiert – und war es wohl auch. Aber das Angebot wird von Tag zu Tag besser. So wie wir alle. Daran glaube ich ganz fest. Dass wir mit den Herausforderungen wachsen. Jeden Tag ein bisschen. Wohin das führt? Mein Sohn Mattis ist sich sicher: „Wenn ich groß bin, will ich Basketballer werden.“

Mi 25.3.20, 16.33: Zurzeit findet unterm Schilfdach kein Gemeindeleben statt. Sagen wir jedenfalls. Aber stimmt das? „Was geht, wenn nichts geht?“ Unter dieses Arbeitsmotto haben wir das Gemeindepraktikum von Sabrina Greifenhofer gestellt, die seit heute für die nächsten Wochen dabei ist. Einige kennen Sabrina noch aus der Zeit (2017 bis 2019), als sie in der Leitung der regionalen Konfi-Arbeit aktiv war. Inzwischen geht ihr Theologie-Studium in den Endspurt. Das Praktikum gehört zum Studium. Und was war heute in der Gemeinde so los? Die Baumpfleger schneiden zurzeit die Eichen auf dem Vorplatz. Vor der Eingangstür der Kapelle nimmt ein Ort immer mehr Gestalt an, wo Besucher Kerzen anzünden können. Mit Florian Kronfeldt soll in den nächsten Tagen ein Ostervideo entstehen. Und ich freue mich, was (trotz allem) alles gerade möglich ist.

Di 24.3.20, 16:32: Es stand im Internet, also muss es wahr sein: Die Natur erobert sich ihren Lebensraum zurück. Aus Venedig hört man, dass dort wieder Fische im Canale Grande schwimmen. Und hier bei uns in Berlin sind zum ersten Mal seit 80 Jahren wieder Spreedelfine gesichtet worden. Doch, wirklich! Das Foto beweist es und – nein! –, es ist bestimmt nicht mit Photoshop bearbeitet worden... Vielleicht beweist es aber auch nur, dass bei mir der Lagerkoller ausgebrochen ist.

 

Woche zwei der Kitaschließung – und bei uns zu Hause waren alle froh, heute mal rauszukommen. Auch wenn es nur zum Zahnarzt ging. Wobei mir die gute Laune schon auf dem Kaiserdamm wieder vergangen ist: Kaum Autos, keine Menschen, geschlossene Geschäfte. Gespenstisch. Wie gut haben wir es doch zwischen See und Flugfeld in Kladow. Hier sehe ich noch Menschen beim Joggen, Skaten, Spazieren. Oder einfach: beim Durchatmen. Das ist nötig. Und das tut gut. Wie schön, dass der Frühling immer dann kommt, wenn man ihn am dringendsten braucht. Jetzt. Genießt die Sonne!

Mo 23.3.20, 14:31: David Hockney, britischer Pop-Art-Künstler, hat vorige Woche etwas sehr Schönes gesagt, wie ich finde. „Do remember, they can’t cancel the spring.“ – „Denkt daran, den Frühling können sie nicht absagen.“ 82 Jahre ist Hockney inzwischen alt, lebt abgeschieden in der Normandie. Aber technikbegeistert ist er wie eh und je. Deshalb hat er dann gleich mal zu seinem iPad gegriffen hat und ein Bild voller Lebensfreude gemalt: Osterglocken vor einer noch nicht ganz erblühten Winterlandschaft. Ein Bild, das bei mir die Symbolik von Auferstehung und Neuanfang in Erinnerung ruft. Ein Bild der Hoffnung. Bilder der Hoffnung, Steine der Hoffnung kommen in diesen Tagen von unseren Konfis. Sie hatten die Aufgabe, Ostersteine zu bemalen und sie an unseren Kirchen oder an Gartenzäunen abzulegen. Das gibt uns gleich zwei Möglichkeiten: Wer in den nächsten Tagen frische Luft schnappen geht, kann schauen, wie weit die Osterglocken und die Ostersteine, Zeichen der Hoffnung, schon gekommen sind.

So 22.3.20, 9:57: Der Berliner Senat hat das öffentliche Leben in der Stadt gestern weiter eingeschränkt. Seit heute sind nun auch Versammlungen mit mehr als zehn Personen untersagt. Deshalb wird es heute – anders als noch vorigen Sonntag – kein gemeinsames Gebet auf dem Vorplatz der Kapelle geben. Trotzdem werde ich um 11 Uhr die Glocke läuten und anschließend alleine in der Kirche Andacht feiern. Ich fühle mich verbunden mit allen, die zeitgleich oder später zu Hause eine Kerze anzünden, ein Gebet sprechen oder „Hausandacht“ feiern. Andacht und Glockenläuten können auch auf unserer Internetseite heruntergeladen werden. Bleibt gesund, Geschwister!

Sa 21.3.20, 20:45: Was für ein schöner Tag: Sonne satt, Himmel blau, der „Blühling“ hat begonnen. Und nachmittags denke ich: Komm, bloß raus, wer weiß, wie lange das noch… Na, ihr wisst schon, Ausgangssperre. Also spaziere ich eine Weile ziellos durch die Gegend, komme an einem Haus mit Garten vorbei. Am Zaun fünf Luftballons. Ach, Kindergeburtstag, denke ich. Und: Wie gut, dass meine Kinder alle erst im Winter Geburtstag haben. Ich schäme mich ein bisschen für diesen Gedanken. Einen Moment später drücke ich auf den Klingelknopf. Ich weiß, macht man nicht mehr, alte Gewohnheit. Eine strahlende Vierjährige öffnet erwartungsfroh – und ist etwas enttäuscht, als sie mich sieht. Hinter ihr die Mutter. Ich stelle mich als Pfarrer vor und wünsche alles Gute. Und frage dann doch, ob andere Kinder erwartet werden. Nein, sagt die Mutter. Aber Oma und Opa sind schon morgens mit dem Auto vorbei gefahren und haben „Happy Birthday“ gesungen. Die Babysitterin hat ein Geschenkpaket geschickt. Die Kitakinder viele Videos. Und der große Bruder hat sogar eine Schatzsuche organisiert, obwohl er das nur noch peinlich findet. Zum Abschied sagt die Kleine fröhlich: „Mal schauen, was noch so kommt.“ Ich bin anschließend in einer seltsamen Stimmung. Frage mich: Was soll dieses „Social Distancing“? Körperliche Distanz, in Ordnung. Aber Sozialkontakte sind doch in diesen Wochen wichtiger denn je! Allen einen gesegneten Sonntag!

Fr 20.3.20, 14:45: „…und was machst du am Sonntag?“ Mit diesem Spruch haben wir bisher auf Plakaten und Aufklebern zu Gottesdiensten in die Schilfdachkapelle eingeladen. Zurzeit nicht, zurzeit ist alles abgesagt. „Allein und doch gemeinsam!“, heißt es daher nun. Denn auch weiterhin ist geistliches Leben in den beiden evangelischen Kirchengemeinden in Kladow möglich. Dafür stellen wir einmal eine „Hausandacht“ zur Verfügung, mit der – alleine oder gemeinsam – auch zu Hause Gottesdienst gefeiert werden kann. Darüber hinaus wollen wir der Einladung von Bischof Christian Stäblein folgen, zum 12-Uhr-Läuten der Kirchenglocken (an der Schilfdachkapelle seit heute auf fünf Minuten verlängert) eine Kerze zu entzünden und ein Gebet zu sprechen. Mit diesen Worten zum Beispiel: „Gott. Ich bete jetzt zu dir. Und ich weiß, ich bin verbunden mit dir und allen anderen, die jetzt gerade zu dir beten.“ Euch allen einen gesegneten Frühlingsbeginn!

Hausandacht
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Do 19.3.20, 11:58: Heute feiert Kirsten Boie Geburtstag. 70 Jahre wird die Kinderbuchautorin alt. Im Familienregal bei uns zu Hause stehen einige ihrer Bücher, von „Paule ist ein Glücksgriff“ bis „Ritter Trenk“. Ihr sei es wichtig, dass Kinder überhaupt lesen, sagt sie immer wieder: „Um Spaß zu haben, Abenteuer zu erleben, sich schön, mutig und stark zu fühlen – und manchmal auch, um sich trösten zu lassen.“ Gefragt, ob sie selber ein Lieblingsbuch habe, antwortet Kirsten Boie: „Pippi Langstrumpf“. Also habe ich heute Morgen, noch vor dem Büro, zum Astrid-Lindgren-Klassiker gegriffen und eine halbe Stunde vorgelesen. Mit den drei Kindern saß ich dabei gemütlich auf dem Sofa. Und hinterher war zumindest ich getröstet. Durch diesen Dialog hier: „Der Sturm wird stärker“, sagen Tommy und Annika. Und Pipi: „Macht nichts. Ich auch.“ Kommt gut durch den Tag!

Mi 18.3.20, 15:58: Die Welt ist plötzlich klein geworden: Schule, Kitas, Spielplätze – geschlossen! Viele sind zu Hause. Und nun? Eine Lehrerin vom Carossa-Gymnasium erzählt vom Projekt digitales Klassenzimmer („Homeschooling“). Sie meint: „Wir müssen nur aufpassen, dass wir die Jugendlichen nicht mit Unterrichtsmaterial zumüllen, das sie sowieso nie abarbeiten.“ Wirklich nicht? Rumgefragt, sitzen die (meisten) Teamer unserer Gemeinde vormittags am Computer, um zu lernen. Bei einer klingelt sogar ein Wecker im Hintergrund. Nanu? „Der erinnert mich, dass Deutsch jetzt vorbei ist. Jetzt beginnt gleich Mathe.“ Und die Älteren aus unserer Gemeinde, was machen die? Eine Frau erzählt von einer verschobenen Herzoperation – und von den vielfachen Sorgen um die eigene Gesundheit. Die Tochter einer Frau, die vorige Woche verstorben ist, sagt die Trauerfeier ab. „Wir kommen doch gerade überhaupt nicht zum Trauern.“ Aber wann dann? Weiter: Ein Vater im Home Office berichtet: „Heute morgen hat mein dreijähriger Sohn, als ich gerade in einer Videokonferenz mit Kollegen war, einen Wutanfall bekommen – da bekommt der Begriff ‚Interessenkonflikt‘ eine ganz neue Bedeutung.“ Eine Physiotherapeutin erzählt von Sorgen, dass ihre Praxis schließen müsse. Die Hoffnung: Dass es doch nur bei den „ganz normalen Absagen“ dieser Tage bleibt. So sieht es aus, das Leben in unserer Gemeinde, in den Zeiten des Virus. Da bleibt nur zu wünschen: Alles Gute zum Alltag!

Di 17.3.20, 11:12: „Etwas weniger Realität, bitte!“ Kaum ein Satz bringt mein Lebensgefühl derzeit besser auf den Punkt als dieser Wunsch. Gerade war doch noch alles in Ordnung. Und nun? Werden beinahe täglich Rechte außer Kraft gesetzt, die über Jahrhunderte so mühsam erkämpft worden sind: Das Recht auf Religionsfreiheit, das Recht auf Freizügigkeit, das Recht auf Bildung… Wir erleben ein Groß-Experiment mit offenem Ausgang. Und die Frage ist: Woher kommt Trost? Für mich aus dem Brief von Matthias Claudius an seinen Sohn Johannes aus dem Jahr 1799: „Die Wahrheit richtet sich nicht nach uns, lieber Sohn,sondern wir müssen uns nach ihr richten. Was Du sehen kannst, das siehe und brauche Deine Augen, und über das Unsichtbare und Ewige halte Dich an Gottes Wort.“ Ich bete darum dass wir schon bald einen neuen Morgen nicht mehr begrüßen müssen mit den Worten: „Herzlich Willkommen im falschen Film!“

Mo 16.3.20, 19:10: Manchmal hilft nur noch Humor. Schon gestern, eine zufällige Begegnung beim Fahrradausflug mit den Kindern. Auf die Frage, was sie die nächsten Wochen so mache, antwortet eine Mutter: „Endlich mal die Kinder erziehen, kommt man doch sonst nicht zu.“ Und heute auf dem Spielplatz auf dem Flugfeld, ungefähr zu der Zeit, als die Spielplätze in Deutschland geschlossen wurden, sagt ein Vater, was er in den nächsten Wochen im Home Office und den Kindern in Coronaferien alles braucht: „Ohrenstöpsel, Baldrian und einen Erziehungsratgeber für gewaltfreie Kommunikation.“ 😂... Allen einen schönen Abend ohne weitere Schreckensnachrichten.

Mo 16.3.20, 9:32: Mit einer seltsamen Stimmung geht es in diese Woche. Unsere Kita hat heute geöffnet, aber es sind kaum Kinder da. Die Jugendlichen gehen noch einmal in die Schule, wissen aber nicht, wie so etwas ähnliches wie Unterricht in den nächsten Wochen organisiert werden soll. Eine unserer Teamerinnen drückt ihr Lebensgefühl so aus: „Normalerweise habe ich jeden Tag ein Hobby, aber jetzt fällt alles aus.“ Und nun? Das Stichwort, das am häufigsten fällt: „Unwirklich“. Große Unsicherheit, viel Gesprächsbedarf, so erlebe ich das. Deshalb: Kommt alle gut in diese Woche. Und haltet fest an der Zusage aus 2. Tim 1,7: „Denn Gott hat uns nicht gegeben den Geist der Furcht, sondern der Kraft und der Liebe und der Besonnenheit.“

So 15.3.20, 12:00: Ein Gottesdienst hat heute nicht stattgefunden. Aber alle, die von der Absage nichts mitbekommen hatten, konnten im Vorraum eine Kerze entzünden. Und ein gemeinsames Gebet haben wir auch gesprochen. Darin hieß es: „O Gott, komm uns zur Hilfe nun, da sich der Coronavirus auf der ganzen Erde ausbreitet. Heile die, die krank sind, unterstütze und beschütze ihre Familien, Angehörigen und Freunde vor Ansteckung. Höre unser Rufen.“ Euch allen einen gesegneten Sonntag!

Sa 14.3.20, 20:19: Ich saß gerade am Schreibtisch, um meine Predigt für morgen fertig zu schreiben, als mich die Nachricht per Mail erreichte, dass die Berliner Behörden ab sofort alle Veranstaltungen mit mehr als 50 Teilnehmern abgesagt haben. Der nächste Schreck. Nach intensiver Beratung mit dem Vorsitzenden des Kreiskirchenrates im Kirchenkreis Spandau, Karsten Dierks, und erneut mit unserer Vorsitzenden Inge Kronfeldt, haben wir uns gemeinsam dazu entschieden, den Gottesdienst morgen abzusagen. Es fällt mir persönlich sehr schwer. Ich könnte heulen. Aber ich fürchte, uns bleibt keine Wahl. Inwiefern in den nächsten Tagen und Wochen noch Gemeindeleben möglich ist, weiß ich im Moment nicht. Ich werde mich auf alle Fälle über diese Gruppe melden. Ideen gerne an mich. Anbei ein Foto, dass ich heute Nachmittag im Vorraum der Schilfdachkapelle aufgenommen habe. Es war ein sehr schöner Anblick. Vielleicht gibt das etwas Trost in dieser schwierigen Zeit.

Sa 14.3.20, 10:10: Wie gehen wir in der gegenwärtigen Krise als Kirchengemeinde verantwortungsvoll mit unseren Veranstaltungen und Gottesdiensten um? Unsere Vorsitzende Inge Kronfeldt und ich machen es uns mit einer Entscheidung nicht leicht. Natürlich spüren wir auf der einen Seite die Pflicht, zur Eindämmung des Virus beizutragen. Auf der anderen Seite sehen wir uns als Kirchengemeinde auch als Ort der Seelsorge und des Trostes. Deshalb haben wir beschlossen, den Gottesdienst morgen wie gewohnt um 11 Uhr stattfinden zu lassen. Wir verzichten aber auf das Abendmahl. Und wir werden den Gottesdienst auf dem Vorplatz der Kapelle im Freien feiern. Das Wetter scheint ja mitzuspielen. Diese WhatsApp-Gruppe werde ich in den nächsten Tagen vermehrt zur Information einsetzen. Wenn es also noch Menschen gibt, die dieser Gruppe beitreten wollen oder sollen, bitte einfach eine Nachricht an mich. Bleibt alle gesund!

Fr 13.3.20: Gestern hat unser Besuchskreis unter dem Eindruck bedrückender Nachrichten stattgefunden. Klar ist, dass wir im Moment keine Menschen aus Risikogruppen besuchen und damit in Gefahr bringen wollen. Gleichzeitig bin ich froh, dass sich der Besuchskreis dafür ausgesprochen hat, älteren oder immunschwachen Menschen, die besonders gefährdet sind, beizustehen. Deshalb wollen wir hier an dieser Stelle und in den  kommenden Tagen immer wieder dazu aufrufen, dass sich Menschen, die Hilfe beim Einkaufen, bei Botengängen oder ähnliches brauchen, bitte direkt bei mir oder bei uns im Büro melden. Wir organisieren Hilfe gerne!

Do 12.3.20: Wir leben in seltsamen Zeiten. Im Großen scheint die ganze Welt aus den Fugen zu geraten. Im Kleinen, in unserer Gemeinde, müssen wir täglich improvisieren, weil der Gemeinderaum bis 15 Uhr von der Kita gebraucht wird. Deshalb hat der Yoga–Kurs heute Morgen schon auf der Empore stattgefunden. Und gleich treffen wir uns als Besuchsdienst vor der Hirtenstatue. Aber eins muss man schon sagen: Gemütlich ist es...

Mi 11.3.20: Wir erleben in diesen Tagen, wie das Coronavirus immer mehr in unseren Alltag eingreift. Was bedeutet der Umgang mit der Pandemie für unsere menschlichen Begegnungen? Was bedeutet das Virus für unseren Besuchskreis? Seit mehreren Jahren trifft sich ein engagierter Kreis von Ehrenamtlichen in unserer Gemeinde, um andere Menschen zu besuchen. Morgen trifft sich der Besuchskreis um 13 Uhr in der Schilfdachkapelle zu Kaffee und Kuchen. Herzliche Einladung an alle, die Interesse am Besuchskreis haben.

Di 10.3.20: Unruhe und Unsicherheit kennzeichnen unsere Tage. Was gestern noch undenkbar schien, wird über Nacht möglich. Wie gut ist es da, wenigstens kurzzeitig zur Ruhe zu kommen, der Seele eine Atempause zu schenken. Morgen findet um 18:30 Uhr wieder die meditative Andacht statt. Herzliche Einladung!

Fr 6.3.20: Gelebte Ökumene vor Ort: Die drei evangelischen Gemeinden im Spandauer Süden sowie die katholische Pfarrei Mariä Himmelfahrt feiern heute um 18 Uhr im Gemeindehaus im Dorf gemeinsam den Weltgebetstag. Wie immer wird im Anschluss zusammen gegessen, diesmal gibt es Spezialitäten aus Simbabwe. – Ich freue mich hingegen auf ein dienstfreies Wochenende. Am Sonntag feiert Pfarrer Nicolas Budde um 11 Uhr den Gottesdienst in der Schilfdachkapelle. Herzliche Einladung!