Ev. Kirchengemeinde Am Groß-Glienicker See

Blog: Unterm Schilfdach - Mai bis Juli 2020

An dieser Stelle schreibt Pfr. Alexander Remler regelmäßig über das Gemeindeleben der Schilfdachkapelle. 

 

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Fr 10.7.20, 9:06: Heute ist mein letzter Arbeitstag vor dem Urlaub. Und ich blicke noch einmal auf die anstrengenden Monate  zurück, die hinter uns liegen. Die uns gezwungen haben, neue Perspektiven einzunehmen, neu aufs Leben zu schauen. Und ich denke an meine eigenen Erwartungen, mit denen ich in dieses seltsame Jahr 2020 gestartet bin. An die To-do-Liste, die ich vorbereitet hatte – und an der bis heute die Häkchen fehlen. Denn: Die Zeiten haben sich geändert – und das ist ausnahmsweise keine Floskel. Und wir haben uns geändert. Das ist mir deutlich geworden, als ich mir gestern noch einmal die Beiträge „Unterm Schilfdach“ angeschaut habe. Seit März habe ich beinahe täglich einen Beitrag geschrieben. Manches erscheint heute schon wieder weit weg – wie die Absperrbänder um die Spielplätze oder die Autofahrten durch menschenleere Straßen. Anderes lohnt sich zu bewahren – wie das starke Gefühl von Gemeinschaft oder die erzwungene Verlangsamung des Lebens. Jeder hat diese Krise anders erlebt, jeder hat andere Prioritäten. Uns allen wünsche ich, weiter nach dem Wesentlichen zu suchen – Suchende zu bleiben und Findende zu werden. Ich bin am 3. August wieder im Dienst. Bis dahin mit den Worten des Irischen Segensliedes: „Bis wir uns wiedersehen, halte Gott dich fest in seiner Hand.“

Mi 8.7.20, 9:59: Gestern kommt Reinhard Schütz im Gemeindehaus vorbei. Eigentlich nur mal so und um zu fragen, ob noch ein paar Südwinde verteilt werden müssen. Ja, da stehen noch zwei Kartons. Reinhard nimmt sich einen, später Manfred Gummi den anderen, dann sind alle Kartons weg. Bevor sich Reinhard wieder auf seinen Roller schwingt, erzählt er, dass er bald weg fährt. Ach, frage ich, Urlaub? Nein, antwortet er. „Zum Eremiten.“ Wie bitte, ich hab mich wohl verhört. Nein, habe ich nicht, denn eine Autostunde von Kladow entfernt lebt in seiner Klause St. Bernhard tatsächlich ein Eremit. Und  Einkehrgäste können hier ein paar Tage verbringen, beten oder im Garten helfen. „Und bei schönem Wetter abends in den Wutzsee springen“, sagt Reinhard. Faszinierend. Eremiten stehen in einer langen christlichen Tradition, die bis zu Jesus zurück geht. Der zog sich auch regelmäßig zum Gebet in die Wüste zurück („eremos“, griech. Wüste). Später lebten auch die ägyptischen Wüstenmönche in Siedlungsferne, ihre „Apophthegmata Patrum“ sind lebendige Spruchweisheiten bis heute. Allein mit Gott, das geht in unserer Gemeinde während der offenen Kirche (17 bis 18 Uhr). Und in der meditativen Andacht, heute um 18.30 Uhr. Da steht das Herzensgebet im Mittelpunkt, dessen Anfänge ebenfalls bei den Wüstenmönchen liegen.

Di 7.7.20, 10:51: Herrlich, diese Sonne. Wie schön, der Sommer. Jetzt ist die Zeit, sich gemütlich zurück zu lehnen. Und sich höchstens mal ein paar Gedanken über bequeme Sitzmöbel der Bibel zu machen. Über den Thron von König Salomo etwa, den wir uns als prächtigen Sessel vorstellen können, mit gerundeter Rückenlehne und Löwenikonographie (1. Kön 10,18). Die höchste und erhabenste Sitzgelegenheit der Bibel ist natürlich für Gott vorgesehen, dessen Thron der Prophet Daniel als Thronwagen beschreibt, mit Rädern aus lodernden Feuerflammen (Dan 7,9). Der Prophet Jesaja dagegen denkt noch größer, indem er Gott die Worte in den Mund legt: „Der Himmel ist mein Thron und die Erde der Schemel meiner Füße“ (Jes 66,1). Im Vergleich dazu sind unsere irdischen Ansprüche geradezu bescheiden. Der schönste Thron unserer Tage ist wahrscheinlich der Strandkorb. Wobei der es auch in sich hat. Wer einen Strandkorb ins rechte Sonnenlicht rücken möchte, muss schon aufpassen, dass der große Zeh nicht eingeklemmt wird. Doch am Ende, das weiß jeder Strandkorb-Afficionado, lohnt sich die Mühe: Wenn die Sonne im idealen Winkel einfällt und sich der Wind an den Seitenwänden bricht, ist es höchste Zeit, ein Buch rauszuholen. Oder einfach nur aufs Wasser zu schauen. Einfach göttlich, Sommertage so zu verbringen.

Mo 6.7.20, 11:28: Sonntags nach dem Gottesdienst beginnt für mich meist die Familienzeit. Meist, nicht immer. Gestern klingelt das Telefon. Ob ich vorbei kommen könnte, fragt die Anruferin. Ich frage vorsichtig zurück, ob auch Montag gehen würde. Nein, leider nicht, es sei dringend, ein Unfall, eine Frage auf Leben und Tod. Also sitze ich wenig später in einem fremden Wohnzimmer. Und höre die Frage: "Wo ist Gott?" Die Augen der Anwesenden richten sich erwartungsvoll auf mich. Und ich wünschte, dass ich darauf immer eine Antwort hätte. Habe ich aber nicht. Ich erlebe als Pfarrer solche Situationen genauso ungerecht. Und es tröstet nur wenig, dass schon die alten Propheten den "verborgenen Gott“ (Jes 45) kannten, den sie nicht verstanden und der „im Dunkeln“ wohnt (1 Kön 8,12). Der deus absconditus, wie ihn Luther nannte. Vielleicht meinte Jesus am Kreuz das, als er klagte: "Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?“ (Mk 15,34). Auf dem Weg nach Hause möchte ich gestern nicht alleine bleiben mit meinen Gedanken. Also halte ich an der Schilfdachkapelle und entzünde in der dunklen Kirche eine Kerze. Später bin ich erleichtert. Wenn schon nichts anderes, bin ich doch meinen Ärger los geworden. Den kann jetzt der verborgene Gott alleine tragen.

So 5.7.20, 12:49: Aus der Predigt von heute ein Gedanke: „‚Und sie hörten Gott den HERRN, wie er im Garten ging, als der Tag kühl geworden war‘ (Gen 3,8). Für mich ist das ein wahnsinnig schöner Vers aus der Schöpfungsgeschichte. Gott als Spaziergänger. Das muss man sich mal bildlich vorstellen: Gott spaziert am Ende eines langen Arbeitstages durch seinen Garten und schaut nach dem Rechten, nach den Blumen und Pflanzen und nach Adam und Eva. Nach Adam und Eva? Moment mal, wo sind die beiden bloß? ‚Und Gott der HERR rief Adam und sprach zu ihm: Wo bist du?‘ Der spazierende Gott sieht nach seiner Schöpfung und wundert sich, wo wir Menschen sind – und was wir Menschen machen beziehungsweise gemacht haben mit seiner Schöpfung.“ – Im Gottesdienst heute ging es um Gott als Spaziergänger, um Schäferidyll und Cottagecore, vor allem aber um die Verantwortung, die uns Gott im Umgang mit seiner Schöpfung gegeben hat.

Fr 3.7.20, 13:59: Die Ferien haben begonnen. Und besonders an den Küsten wird es langsam eng. Vor der Autofähre nach Sylt bilden sich lange Schlangen. Klar: Alle wollen ins Grüne. Am besten dahin, wo sich Fuchs und Hase die Pfote geben. Wo sich Urlaub unter gelockerten Kontaktbeschränkungen am besten genießen lässt. Wobei das auch für den Sommergottesdienst gilt, den wir am Sonntag in der Schilfdachkapelle feiern, umgeben vom Grün der Eichen. Zumal ich in dieser Woche gewissermaßen mit der Nase auf ein neues Zeitgeistphänomen gestoßen worden bin. Es heißt „Cottagecore“ und ist im Internet gerade sehr erfolgreich. Dabei sind vor allem Mädchen und junge Frauen zu sehen, die mit Begeisterung Brotteig kneten, Blumen pressen oder Pilze suchen – vor dem Hintergrund einer Pferdekoppel oder mit Gitarrenmusik unterlegt. Eine Idealisierte Gegenbewegung zu Konsumismus und Umweltzerstörung? Auf alle Fälle hübsch inszeniert. Und Gott geht dazu spazieren, wie immer am Abend, durch den Garten seiner Schöpfung. Er schaut links und rechts und fragt uns, was wir so anstellen mit Blumen und Pflanzen und überhaupt. Der Gottesdienst wird nach draußen übertragen. Achtung: Es findet nur noch ein Gottesdienst um 11 Uhr statt. Herzliche Einladung!

Mi 1.7.20, 13:46: Früher, wenn ich einen Blick in den Kleiderschrank geworfen habe, waren mir zwei T-Shirts besonders wichtig. Sie sahen zwar gleich aus. Aber es mussten unbedingt zwei sein, falls eins in der Wäsche war. Vorne drauf: Drei Buchstaben und ein Zeichen, schwarz auf weiß und einmal rot. Fertig. So einfach. So genial. Und für mich der Weg, mich aus meiner Berliner Vorstadt-Jugend weg zu träumen in die weite Welt. Schon 1974 wurde das weltbekannte New-York-Logo von Milton Glaser entworfen. Vorige Woche ist der legendäre Designer an seinem 91. Geburtstag gestorben. „I love NY“ aber bleibt, diese geniale Reduktion, die so viele Wünsche aufnimmt und Sehnsüchte, Sichtbares und Unsichtbares verbindet. Nanu, rede ich noch von Werbung? Oder doch schon von einer anderen Chiffre in Vollendung. Ich meine die Bezeichnung „Jesus Christus“. Denn Jesus Christus ist ja kein Name, sondern das Bekenntnis der ersten Christen. Und heißt: Wir glauben, dass Jesus aus Nazareth der Gesalbte Gottes ist – Griechisch: Christus –, der schon von den alten Propheten als Retter angekündigt worden ist. Ein Bekenntnis, ein Symbol in Vollendung, in dem Sagbares und Unsagbares anklingt, das seinen Schöpfer überlebt hat und Menschen auch nach 2000 Jahren noch zum Träumen bringt.

30.6.20, 12:45: Als hätten wir in diesen Tagen nicht schon genug Sorgen, lese ich in der Zeitung: „Der Erde geht der Sand aus.“ Und gleich fange ich ganz schuldbewusst an zu überlegen, ob da meine Kinder hinter stecken könnten. Immerhin haben sie bei der Hitze neulich, noch dazu mit meiner Hilfe, eimerweise Sand in den Groß Glienicker See geschaufelt. Aber, nein, lese ich weiter: Sand sei so kostbar, weil er in Beton, Glas und sogar Zahnpasta verarbeitet sei. Jeder Deutsche verbrauche pro Stunde ein Kilo Sand. Ich schaue auf die Küchenuhr: Sieben Uhr morgens, die Familie schläft, ich lese Zeitung und soll seit dem Aufstehen schon ein Kilo Sand verbraucht haben? Und ich dachte: Sand gibt’s wie Sand am Meer. Das steht doch sogar in der Bibel – so reichlich wie es Sterne am Himmel gibt (Gen 22,17). Und wer tief buddelt, findet im Wüstensand sogar verborgene Schätze (Dtn 33,19). Nur an wenigen Bibelstellen wiegt das Gewicht des Sandes so schwer wie das Leiden auf Hiobs Schultern (Hi 6,3). Ach, manchmal würde ich am liebsten den Kopf in den Sand stecken. Andererseits, fällt mir da ein, wird uns künftig wohl keiner mehr Sand in die Augen streuen. Ist doch viel zu kostbar!

Mo 29.6.20, 16:32: „Mit welchem Maß ihr messt, wird euch zugemessen werden.“ Ich finde, es gibt nur wenige Bibelsprüche, die alltagsnäher sind als dieser Vers aus der Bergpredigt (Mt 7,2). Eltern messen ihre Kinder, ob sie schön wachsen. Kinder messen ihre Eltern, ob sie schön Wort halten. Geschwister messen sich gegenseitig. Und Schüler achten auf ihre Noten. Apropos Noten: Ich habe heute als Beisitzer in der Prüfungskommission für das Erste Theologische Examen gesessen. Für das Fach: Neues Testament. Was für eine anstrengende Aufgabe! Eine Prüfung nach der anderen, dann rasselt eine Kandidatin durchs Examen, bei einem anderen diskutieren wir ewig über die Note – und immer wieder die Frage nach dem richtigen Maß. Was war ich erleichtert, als ich auf dem Rückweg nach Kladow noch einkaufen gegangen bin. Vor dem Regal mit den Äpfeln dachte ich: Wie schön, dass Pink Lady so viel kostet wie Granny Smith, Braeburn und Jonagold. Das ist doch mal ein einfaches Maß. Voller Begeisterung wollte ich mit der Verkäuferin philosophisch ins Gespräch über den gleichen Wert der Apfelsorten kommen. Aber nichts da. „Wissen se, dit is bei uns nur effizienter.“ Unterschiedliche Preise würden an der Kasse zu lange dauern. Na gut, aber irgendwie ist auch das ist ein sehr menschliches Maß.

So 28.6.20, 12:29: Heute im Gottesdienst ging es um die Sehnsucht nach einem unbeschwerten Sommer. Um das Hüpfen eines Kindes und um das Schluchzen eines Kindes. Und darum, was Gott zu dem Verhältnis von Arbeit und Ruhe sagt. Ein Gedanke aus der Predigt von heute: „Ich schaue in die Bibel. Und lese gleich am Anfang, im Buch Genesis, in der Schöpfungsgeschichte, dass die Erholung zum Menschsein ganz wesentlich dazu gehört. Und zum Gottsein übrigens auch. Ich merke, dass mich das schon immer fasziniert hat, dass der Gott der Bibel einer ist, der arbeitet – und ruht. Beides. Dass der Gott, an den ich glaube, ein arbeitender Gott ist – und ein ruhender. Dass dieser Gott das ganz gut kennt, diese Phasen der Anspannung und der Entspannung, der Arbeit und der Erholung. Und der uns, seine Spiegelbilder, seine Ebenbilder, uns Menschen, auffordert, es ihm gleich zu tun. Zu arbeiten und auszuruhen. ‚Und so vollendete Gott am siebenten Tage seine Werke, die er machte, und ruhte am siebenten Tage von allen seinen Werken, die er gemacht hatte‘ (Gen 2,2). Einer der schönsten Verse der Bibel für mich. Und am Anfang des Sommers eine verlockende Verheißung auf Ruhe und Erholung.“

Sa 27.6.20, 11:20: Wenn ich mich in dieser Woche unterhalten habe, dann ging es häufig um den Sommer, um Urlaub und die Ferien. Ach, was für schöne Themen – eigentlich. Und doch merke ich, dass es mir schwer fällt, in das Gotteslob des Wochenpsalms einzustimmen, der für den morgigen Sonntag vorgesehen ist. Dort heißt es: „Lobe den Herrn, meine Seele, und was in mir ist, seinen heiligen Namen" (Ps 103,1). Auch ich frage mich, wie ein unbeschwerter Sommer aussehen soll in einem Jahr, in dem es überall heißt: Stopp! Halt! Abstand! Ausgesprochen von Menschen, die nicht einmal Gesichter haben, weil sie hinter Masken versteckt sind. Das richtige Sommergefühl stellt sich nur schwer ein. Und doch möchte ich festhalten an der Zusage, die uns Jesus Christus gibt: „Ich will euch Ruhe geben" (Mt 11,28). Wie das aussehen kann? Eine Antwort morgen im Gottesdienst, in dem es um Sonnenmilch und Frittenfett geht – und um einen Gott, der die Spannung zwischen Arbeit und Erholung kennt. Noch einmal finden die Gottesdienste morgen um 10 Uhr und um 11 Uhr statt. Wir übertragen wieder nach draußen. Herzliche Einladung!

Fr 26.6.20, 11:34: In den Wochen und Monaten, die hinter uns liegen, haben wir uns als Südwind-Redaktion immer wieder gefragt, was wir eigentlich mit unserem Gemeindemagazin machen sollen: Was bringt es, Termine abzudrucken, wenn sich immer wieder alles von dem einen auf den anderen Tag ändern kann? Das bringt gar nichts, haben wir schließlich entschieden. Und deshalb nun einen Südwind ganz ohne Termine in Druck gegeben. Aber dafür mit vielen Erfahrungen von Menschen hier aus Kladow. Unseren aktuellen Schwerpunkt haben wir mit einem Zitat aus dem Psalmbuch überschrieben: „Denn er ist unsere Hoffnung“ (Ps 62,5). Was Hoffnung gab – was Hoffnung gibt, davon erzählen ganz unterschiedliche Menschen aus Kladow. Und mir ist bei allen Berichten noch einmal klar geworden: Jeder hat ganz eigene Erfahrungen mit der Pandemie gemacht, positive wie negative. Das Foto heute ist übrigens eine Illustration von Lucie, Schülerin vom Carossa-Gymnasium. Sie hat darin die zwei Seiten des Lockdowns für sich verarbeitet. Wer den Südwind schon einmal digital lesen möchte, kann ihn unter schilfdachkapelle.de runterladen. Die Druckexemplare sollen Anfang der nächsten Woche ankommen. Wer den Südwind bis zum Wochenende danach nicht im Briefkasten hat, bitte bei mir melden. Viel Spaß beim Lesen!

Do 25.6.20, 11:39: Also, normalerweise ist das doch so. Irgendwann wird das Schuljahr immer lang und länger – und am Ende sind alle froh, wenn die Ferien begonnen haben. Nach dem Motto: Endlich frei, endlich Urlaub. Wie gesagt, normalerweise. Denn auch das ist in diesem Jahr anders. „Eigentlich ändert sich in den Ferien im Vergleich zur Zeit davor nicht viel“, habe ich gestern zum Beispiel gehört. Und noch einiges mehr, was die Jugendlichen unserer Gemeinden so beschäftigt. Nicolas Budde und ich hatten uns gedacht: Ein Eis geht immer – und die Teamer, die sich in unserer  Konfirmandenarbeit engagieren, auf ein paar Kugeln eingeladen. Vor der Dorfkirche haben wir den Abend – mit Abstand – verbracht. Und ein bisschen rumgefragt. Etwa, wer trotz allem in den Urlaub fährt. Antwort: So rund zwei Drittel. Geht es auch ins Ausland? Nein, das nicht, fast alle bleiben in Deutschland. Und wohin geht es dann? Ungefähr die Hälfte fährt an die Ostsee. Dort dürften sich in diesem Jahr, so mein Eindruck, viele Bekannte über den Weg laufen. Für uns als Pfarrer die beste Nachricht des Abends, wer auch im neuen Konfi-Jahr wieder mit dabei sein möchte: eigentlich alle. – Aber jetzt erst mal allen eine gute Zeit, deren Ferien begonnen haben!

Mi 24.6.20, 10:12: Mittwoch, Mitte der Woche – und was für ein schöner Sommertag ist das heute! Gerade komme ich vom Vorplatz der Schilfdachkapelle, wo unser Morgengebet an der frischen Luft unter den Eichen stattgefunden hat. Ich fand das wunderschön, die Kladower Geräuschkulisse in der Ferne zu hören und für ein paar Minuten zur Ruhe zu kommen. – Aber nun richte ich den Blick schon aufs kommende Wochenende und freue mich, dass der Schenkflohmarkt wieder stattfinden kann. Am Sonntag, direkt nach den Gottesdiensten um 10 Uhr und um 11 Uhr, ist es soweit. Allerdings wird alles etwas anders sein als sonst. Tamara Stern und ihr Team bauen die Tische mit allen Dingen, die verschenkt werden können, ausschließlich im Freien auf. Entlang des Weges über das Gemeindegelände wird es diesmal ein Schenkflohmarkt im „Vorbeigehen“ unter Wahrung der Corona-Regeln. Genau wie immer wird  aber so mancher Wunsch in Erfüllung gehen können, wie zum Beispiel der nach einem großen Bilderrahmen (siehe Foto). „Von Knopf bis Kinderbett, von Münze bis Mammutplüschtier, Geschenktes in allen Größen und Formen gibt es zu entdecken, bestaunen und ergattern“, sagt Tamara Stern. Ihr Motto lautet diesmal: „Mit gesundem Abstand sehen wir uns wieder.“

Di 23.6.20, 10:47: An den Schulen war in diesem Jahr alles anders. Auch hier bei uns in Kladow. Nicht geändert hat sich aber, dass es am Ende des Schuljahres Zeugnisse gibt. Für viele unserer Kinder und Jugendlichen ist es heute soweit. Anlass genug für mich, in die Bibel zu schauen – denn dort wird uns Menschen auch ein Zeugnis ausgestellt. Aber anders als in den Schulen, wo „Kopfnoten“ einen miserablen Ruf haben, geht es in der Bibel an vielen Stellen um Betragen, Fleiß, Mitarbeit und Ordnung. Hier also das biblische Zeugnis für uns Menschen: Wir starten im Buch der Psalmen, wo wir es schriftlich haben, ganz „wunderbar gemacht“ zu sein (Ps 139,14). Und nicht nur das, „wertvoll“ (1. Kor 6,20) sind wir und „geliebt“ (Jer 31,3). Und auch, wenn wir, wie es in unserem Zeugnis heißt, hin und wieder durchs finstere Tal gehen, dürfen wir uns dennoch „getröstet“ (Ps 23, 4) und „behütet“ (Ps 121,3) fühlen. Darum liegen „Zukunft und Hoffnung“ (Jer 29,11) strahlend vor uns. Und auch wenn wir manchmal Ärger machen, hat uns Gott in seinem Zeugnis schon vergeben: Als Gottes „geliebte Kinder“ (Eph 5,1) und als „Versöhnte“ (2 Kor 5) können wir daher befreit durchs Leben gehen.

Mo 22.6.20, 11:09: Und auf gehts in eine neue Woche. Bei mir mit einem Arztbesuch am Morgen. Nichts Schlimmes, reine Routine – dafür im Wartezimmer ein Haufen bunter Magazine. Und so lese ich gemütlich über Königshäuser, Promi-Hochzeiten und – ach, wie schön! – da ist mein Horoskop. „Am Donnerstag kein Grund für Eifersucht“, steht da. Großartig, denke ich, hört sich gut an. Schon mein zweiter Gedanke bringt mich allerdings ins Grübeln. Wenn ich am Donnerstag keinen Grund zur Eifersucht habe, was ist mit heute, morgen, Mittwoch, Freitag und dem Wochenende? Hm. Möglicherweise werde ich meiner Frau nun an sechs Tagen dieser Woche mit Argwohn begegnen. Vielen Dank, blödes Horoskop! Also schlage ich mich bei der Frage nach der Astrologie lieber auf die Seite von Martin Luther. Der geriet zur Zeit der Reformation in einen Streit mit seinem Freund Philipp Melanchthon. Luther hielt die Sterndeutung für albernen Hokuspokus, während Melanchthon die Sterne als himmlisches Schaufenster in die Pläne Gottes verstand. Einmal soll er sogar eine Schiffsreise über die Ostsee abgesagt haben, weil die Sterne falsch standen. Und ich lege die weitere Woche dann doch lieber in Gottes Hand und halte mich an den Psalmbeter: „Befiehl dem Herrn deine Wege, er wird's wohlmachen“ (Ps 37,5).

So 21.6.20, 13:15: Aus der Predigt von heute über die Schwierigkeit, eine Haltung zum Thema Rassismus zu finden: „Ich fühle mich wohl beim Blick auf andere: Polizeigewalt in den USA lehne ich natürlich ab, Herrenwitze finde ich primitiv – und selbstverständlich essen meine Kinder nur Schokoküsse. So, das muss doch reichen als Einsatz gegen Rassismus. Oder? Es reicht auf alle Fälle für ein Gefühl moralischer Überlegenheit. (…) Doch wenn ich weiter über dieses Thema nachdenke, fällt mir schon auf: Den Umgang mit den Gastarbeitern in der Nachkriegszeit kann ich leidenschaftlich kritisieren. Aber wie mit den meist osteuropäischen Arbeitern in den Schlachthöfen unseres Landes umgegangen wird – das habe ich bisher stillschweigend akzeptiert. (…) Ich merke schon, was mir noch als Aufgabe bleibt, wenn ich mir anfange vorzustellen, was das für meinen Umgang mit anderen Menschen bedeutet, wenn ich mir vorstelle, dass Gottes Liebe nicht nur mir und dir, euch und uns gilt, sondern jedem einzelnen Menschen gleichermaßen.“

Sa 20.6.20, 18:59: Grundsätzlich ist es schon so, dass es uns als Kirchengemeinde ganz gut zu Gesicht steht, wenn wir den Blick immer mal wieder nach oben richten. Aber dass wir heute ständig gen Himmel geschaut haben, hatte eher mit den dunklen Regenwolken zu tun, die über der Schilfdachkapelle aufgezogen waren. Pünktlich zum Start der Gespräche am „Tag der offenen Gesellschaft“ fing es um drei Uhr an zu nieseln, später zu regnen. Ich hätte den vielen Freiwilligen, die sich an der Vorbereitung beteiligt haben, wirklich besseres Wetter gewünscht. Aber so war das heute wohl schon ein Vorgeschmack auf das, was uns erwartet, wenn wir unsere Veranstaltungen in den nächsten Monaten eher draußen stattfinden lassen müssen. „Ein feuchtfröhlicher Tag mit schönen Begegnungen aus allen drei Gemeinden“, lautet dennoch das Fazit von Anja Helm. Und Reinhard Schütz ergänzt mit Blick auf die vielen Gesprächen, die trotzdem an den Thementischen stattgefunden haben: „Die Diskussionen waren nicht sehr kontrovers, aber die Teilnehmer lernten sich dadurch gut kennen.“ Und das ist in der Tat auch schon viel wert. Ich war nur am Anfang dabei, aber die gute Stimmung fand ich bei all den ungünstigen Rahmenbedingungen schon bemerkenswert. Umso mehr: Vielen Dank allen, die vorbereitet haben. Und: Im nächsten Jahr wird das Wetter bestimmt besser!

Fr 19.6.20, 10:57: Vorigen Sonntag, nach dem Gottesdienst, bin ich mit Sigi Mukherjea-Nimmann ins Gespräch gekommen. Es ging um dies und jenes. Vor allem aber um den richtigen Zeitpunkt, auch mal in der Schilfdachkapelle über Rassismus zu sprechen. – Hm, das hat mich die ganze Woche nicht los gelassen. Und nun lese ich im Evangelium für Sonntag von einem rauschenden Fest, zu dem alle eingeladen sind  (Lk 14,16-25). Ein Fest im Reich Gottes, und wir sind alle dabei… Alle? Ja, unabhängig von politischen Überzeugungen, sexueller Orientierung, Herkunft und Religion – einfach alle. Und ich beginne mich zu fragen, was das für unsere Begegnungen, für unser Miteinander in dieser Gesellschaft bedeuten könnte, wenn wir, so verschieden wir sind, am Ende alle nebeneinander an einem Tisch sitzen und feiern. Ich will ehrlich sein: Ich weiß noch nicht, wohin mich die Predigt führen wird. Aber klar ist für mich: Wer über Rassismus spricht, kann nicht nur über Polizeigewalt in den USA reden, sondern muss auch über Rassismus bei uns sprechen. Herzliche Einladung zu den Gottesdiensten um 10 Uhr und um 11 Uhr!

Mi 17.6.20, 12:13: Der Blick in den Spiegel am Morgen führt mir oft genug schon die ganze Härte des Lebens vor Augen: Kannst auch mal wieder was abnehmen, war heute früh mein erster Gedanke. Am besten den Spiegel, mein zweiter Gedanke. – Aber im Ernst: Häufig genug ist der Blick, den wir auf uns selbst werfen, viel strenger als der Blick der Bibel auf uns Menschen. Als Spiegelbilder Gottes werden wir sogar  beschrieben: „Lasset uns Menschen machen, ein Bild, das uns gleich sei“ (Gen 1,26), heißt es im Buch Genesis, in der Schöpfungsgeschichte. Die befreiende Erkenntnis ist gar nicht zu überschätzen, die von dieser Botschaft ausgeht: So wie du bist, bist du von Gott gewollt und geliebt! Allerdings macht die weitere Heilsgeschichte auch deutlich, dass es der biblischen Tradition nicht ausreicht, beim Blick auf sich selbst stehen zu bleiben. Der Gott der Bibel lässt sich nicht durch eitle Selbstbespiegelung erkennen, sondern im Umgang, im Kontakt und in der Begegnung mit unseren Mitmenschen. Vielleicht berührt mich deshalb auch der Streit der Zwillingsbrüder Jakob und Esau so sehr, bei dem Jakob, der Betrüger, schließlich nach der Versöhnung sagen kann: „Ich sah dein Angesicht, als sähe ich Gottes Angesicht, und du hast mich freundlich angesehen“ (Gen 33,10).

Di 16.6.20, 11:42: Noch steht unser Gemeindeleben weitgehend still. Umso mehr freue ich mich darüber, dass wir den „Tag der offenen Gesellschaft“ doch auf dem Vorplatz der Schilfdachkapelle feiern können. „Bei dieser deutschlandweiten Aktion kommen Menschen darüber ins Gespräch, was uns als Gesellschaft wichtig ist und was uns verbindet“, sagt Anja Helm. Sie hat im vorigen Jahr gemeinsam mit Reinhard Schütz den „Tag der offenen Gesellschaft“ bei uns organisiert. In diesem Jahr sollte er erst ausfallen. Dabei ist gegenseitiger Austausch und die Verständigung über das, was uns wichtig ist, derzeit so wichtig wie selten zuvor. Nach dem Besten für uns als Gesellschaft zu suchen verstehe ich auch als Auftrag des Propheten Jeremia: „Suchet der Stadt Bestes und betet für sie“ (Jer 29,7). Gemeinsam mit den Dorfkirchen Kladow und Groß Glienicke findet dieser wichtige Tag unter Einhaltung der Abstands- und Hygieneregeln statt. Das Programm ist verkürzt: Am 20. Juni geht es um 15 Uhr vor der Schilfdachkapelle los. Kaffee und Kuchen werden wegen Corona nicht vorbereitet, dürfen aber mitgebracht werden. Die Gespräche stehen unter dem Motto von Kurt Weidemann: „Wenn man immer nur mehr, mehr, mehr haben will: O.K., aber warum nicht auch mehr Verständnis, mehr Toleranz, mehr Hingabe?“ Herzliche Einladung!


Mo 15.6.20, 12:07: Am Wochenende habe ich etwas übers Erwachsensein gelernt. Und dass dazu gehört, sich bei Blitz und Donner nicht gleich hinters Sofa zu flüchten, von wo aus mich meine Kinder mit großen Augen angeschaut haben. Aber umso schöner war es dann, mit ihnen zusammen die Blitze am Himmel zu zählen. Aus Entfernung und im Trockenen. Das war bei dem berühmtesten Gewitter der Kirchengeschichte anders. Da geriet der Jura-Student Martin Luther am 2. Juli 1505 auf einer Wiese bei Stotternheim in der Nähe von Erfurt in ein Unwetter. Und erzählte später, wie er sich in Sicherheit bringen wollte, als ihn ein Blitzschlag zu Boden warf – und er der Heiligen Anna in Todesangst versprach: „Wenn ich hier raus komme, werde ich Mönch.“ War das Gewitter ein Zeichen des Himmels? „Schon eher des Teufels “, grummelte Luthers Vater, der von der überraschenden Karriereentscheidung seines Sohnes mäßig begeistert war. Historiker haben später gefragt, ob sich wirklich alles so zugetragen hat. Oft war Luthers Devise schließlich: „Nur wer keine Fantasie hat, erzählt Geschichten so, wie sie wirklich waren.“ Aber unabhängig davon markiert das Gewitter von Stotternheim für mich den Punkt, von dem an Luthers reformatorische Überlegungen unsere Welt aus dem Mittelalter in die Moderne führen konnten.

So 14.6.20, 12:56: Der Regisseur Christoph Schlingensief ist 47 Jahre alt, als er erfährt, dass er Krebs hat. Daraufhin beginnt er, Tagebuch zu führen. Abends, wenn er im Bett liegt, spricht er in sein Diktiergerät, was ihn alles beschäftigt. Die Frage nach Gott beschäftigt ihn sehr. Auch weil er spürt, wie sehr er ums Leben kämpfen will, wie sehr sich das Leben lohnt. Er will nicht sterben. Er legt Widerspruch ein bei Gott. Und dabei werden seine Aussichten immer düsterer. Und seine Lust am Leben immer größer. „So schön wie hier kann’s im Himmel gar nicht sein“, lautet der Titel des Buches mit seinen Tagebuchaufzeichnungen später. Ein wahnsinnig trauriges Buch. Und ein wahnsinnig schönes Buch. Und ich meine: Da, in diesem Buch, ist auch etwas zu spüren von der Kraft des Anfangs, von der Kraft, die auch die ersten Christen spürten, in ihrer Gemeinschaft, die sie bildeten, in der Verbundenheit, die sie lebten. Die wussten, dass sie mit ihrem Gott über Mauern springen können, mit dem gleichen Gott, der sie aber auch durch so manches finsteres Tal führt. „Schafft das heutzutage überhaupt noch jemand, über seinen Glauben zu sprechen, ohne ins Rutschen zu kommen?“, fragt Schlingensief in seinem Buch. Ja, ich finde, er hat das geschafft.

Sa 13.6.20, 13:59: In diesem Jahr wird vieles wegen der außergewöhnlichen Umstände in Erinnerung bleiben. Aber die ersten Konfirmationen, die wir heute hatten, außerdem auch noch wegen des Wetters. Angesagt war Gewitter, deshalb wollte sich niemand über die Sonne beschweren. Aber klar war das heute eher Badehosenwetter. Kein Wunder, dass die Schattenplätze unter den rund 100 Gottesdienst-Besuchern im Gemeindegarten der Dorfkirche am meisten begehrt waren. Sogar unsere Teamer fanden noch ein paar schattige Plätze unter den Bäumen. Nur die Konfis mussten in der Sonne ausharren. Und der Kollege Nicolas Budde und ich waren uns spätestens hinterher einig, dass es nun mal wirklich an der Zeit wäre, über einen „Sommer-Talar“ nachzudenken. Schön war es trotzdem. Und die Laune gut. Nun hoffe ich, dass das Wetter morgen zu den Gottesdiensten um 10 Uhr und 11 Uhr ähnlich wird. Denn dann ist es in der Schilfdachkapelle immer so schön angenehm kühl. Und selbst unter den Eichen auf dem Vorplatz lässt sich der Gottesdienst gut verfolgen.

Fr 12.6.20, 11:45: „Die Menge der Gläubigen aber war ein Herz und eine Seele“, so heißt es in der Apostelgeschichte (Apg 4,32) über die ersten Christen, die erste Gemeinde überhaupt. Sie teilten ihren Glauben, sie teilten ihre Werte, sie teilten alles, was sie hatten. „Denn wer von ihnen Land oder Häuser hatte, verkaufte sie und brachte das Geld für das Verkaufte.“ Die Urgemeinde folgte einem Lebensmodell, das Kraft, Schönheit und Ausstrahlung hatte. Über Generationen und Jahrhunderte. Aber was davon gilt bis heute? Ich freue mich, am Sonntag in den Gottesdiensten um 10 Uhr und um 11 Uhr darüber nachzudenken. Herzliche Einladung – wir übertragen auch wieder nach draußen auf den Vorplatz der Schilfdachkapelle.

Do 11.6.20, 9:38: Gestern, im Gemeindegarten der Dorfkirche: Generalprobe für die Konfirmationen am Samstag. Und zum ersten Mal seit Beginn der Corona-Krise konnten wir einige unserer Konfis wieder persönlich treffen. Im Anschluss, beim Elternabend auf der Terrasse, sagt ein Vater zu uns: „Sie haben drei Monate auf Kontakt zu unseren Kindern verzichten müssen, wir mussten sie drei Monate von morgens bis abends zu Hause haben.“ Das bringt für mich noch einmal auf den Punkt, was für eine außergewöhnliche Zeit hinter vielen Familien liegt, für viele eine außergewöhnlich anstrengende Zeit. In einem Alter, in dem Jugendliche die Welt entdecken wollen, waren sie zu Hause. „Eingesperrt“, sagt ein Mädchen gestern. Geklagt haben sie trotzdem nicht. „Is so“, meint einer lakonisch. Aber nun blicken wir alle miteinander wieder nach vorne. Ausnahmsweise konnten sich unsere Konfirmanden in diesem Jahr entscheiden, ob sie wie geplant im Juni, im September oder aber erst im nächsten Jahr konfirmiert werden wollen. Acht von unseren 42 Konfis haben sich für diesen Samstag entschieden. Und mich berührt, welche Gedanken sie sich zu ihren Konfirmationssprüchen gemacht haben. Einer sagt: „Ich wünsche mir, dass Gott, egal was passiert, immer an meiner Seite steht und mich mein ganzes Leben begleitet.“

Mi 10.6.20, 10:21: In den vergangenen Monaten war viel von Verzicht die Rede – und viel zu wenig von Belohnung. Dabei wissen wir doch, dass Verzichten leichter fällt, wenn am Ende auch was für einen herausspringt. Mein alter Schulfreund Thomas hat immer ein Weizenbier getrunken, als wir zusammen für den Marathon trainiert haben. „Man soll viel trinken nach dem Sport“, hat er als Erklärung angeboten. Nun hatte ich zwar meine Zweifel, ob der Flüssigkeitsbedarf des Körpers wirklich durch Alkohol gedeckt werden kann. Aber Thomas ist unseren ersten Marathon fröhlich durchgelaufen und ich nicht. Das Thema „Belohnung“ ist übrigens auch in der Theologie nicht unumstritten, in der evangelischen schon gar nicht. Etwas Gutes mit der Aussicht auf Belohnung zu tun steht unter dem Verdacht des „Katholischen“. Luther hat eher gefragt, was eine Handlung überhaupt zu einer „guten“ Handlung macht. Ist etwas auch dann noch gut, wenn man es nur macht, um am Ende etwas dafür zu bekommen? Für mich ist die „Goldene Regel“ ein guter Maßstab des eigenen Handelns. Sie steht nicht nur in der Bergpredigt, sondern ist die Grundlage aller Religionen, überhaupt des Miteinanders von Menschen. Und scheint mir in unseren angespannten Zeiten besonders wichtig: „Wie ihr wollt, dass euch die Leute tun sollen, so tut ihnen auch!“ (Lk 6,31).

Di 9.6.20, 11:04: Heute Morgen ist mir klar geworden, wie viele Worte doch vom Aussterben bedroht sind. „Mach mal keine Fisimatenten“, sage ich zu meiner Tochter, die sich einfach nicht für die Kita anziehen will. Und ernte ein bestenfalls ratloses Gesicht. Nach dem Motto: „Ey, Papa, Fisimatenten, echt jetzt?“ Ich glaube, morgen gönne ich mir den Spaß und frage unsere Konfis, ob sie schon mal „Bandsalat“ hatten. Nein, ist nichts zu essen, werde ich sagen, so was passiert im „Kassettenrekorder“. Ach, herrlich, ich werde mich so alt fühlen wie… ich bin. Doch es gibt auch ein paar Worte, um die ich kämpfen möchte. „Soll ich mal bimmeln“, werde ich kurz vor dem Gottesdienst am Sonntag gefragt. Und ich glaube, ich höre nicht richtig. „Ob du die Glocke läuten sollst?“, frage ich zurück und vergesse beinahe, meinen Talar weiter anzuziehen. „Läuten“ möchte ich nicht verloren geben. „Land, Land, Land, höre des Herrn Wort“ (Jer 22,29), ist auf unserer Glocke eingraviert und gibt den liturgischen Sinn des Läutens wieder: Gottes Ehre zu verkünden und zum Gebet zu rufen. Gleich läutet sie wieder, unsere Glocke, um 12 Uhr, und ich lasse mich von ihrem Geläut gerne an eine Wirklichkeit erinnern, die im Alltag häufig unsichtbar bleibt.

So 7.6.20, 13:13: „Ja, ich kenne diese Situation nur allzu gut, viel zu gut. Wie so viele andere Eltern auch, glaube ich. Gibt ja niemand so gerne zu, spricht niemand so gerne drüber. ‚Was? Nein! Unsere Kinder schlafen super ein.‘ Aha, und doch ist meine Vermutung, dass das viele Eltern kennen, Mütter und Väter, die Situation: Wenn man abends, am Ende eines langen Tages, die Kinder ins Bett bringt, die Zähne endlich geputzt sind, der Schlafanzug angezogen, noch eine Gute-Nacht-Geschichte vorliest, dann noch eine – und noch eine. Dann anfängt, ein Schlaflied zu singen. Und noch eins und noch eins. Und der Mond ist schon längst aufgegangen. Und die goldenen Sternlein prangen. Und schließlich ist man irgendwann beinahe durch mit dem Zählen der vielen Sternlein, die am Himmel stehen. Und dann, endlich, fallen die Augen zu, und man erhebt sich vorsichtig vom knarzenden Stuhl und geht zur Tür – leise, leise, wie die Katzen schleichen. Die Hand an der Klinke. „PAPA, was machst du da?“ – Das war ein Gedanke aus der Predigt heute im Gottesdienst in der Schilfdachkapelle. Eine Predigt über den Ärger von Eltern beim Versuch, Kinder ins Bett zu bringen – und über die Liebe von Eltern, die ihre schlafenden Kinder betrachten. Und was das mit Gottes Blick auf uns zu tun hat.

Sa 6.6.20, 10:25: „Die Eule verlässt ihren Wipfel/ Und fliegt in den Abendschein./ Rot lodert die Wut in meiner Brust./ Halt jetzt endlich die Klappe, schlaf ein.“ Das sind Worte des amerikanischen Schriftstellers Adam Mansbach. Er beschreibt eine Situation, die viele Eltern kennen. Abends, am Kinderbett, wenn es ums Einschlafen geht. Aber was haben diese gereimten Verse mit dem Segen zu tun, der am Ende des Gottesdienstes gesprochen wird, dem so genannten aaronitischen Segen? Um Einschlafsituationen von Kindern und von Gottes liebevollem Blick auf uns Menschen geht es morgen in den beiden Gottesdiensten in der Schilfdachkapelle um 10 Uhr und um 11 Uhr. Und wenn das Wetter mitspielt, übertragen wir die Gottesdienste auch wieder nach draußen. Ich freue mich auf alle, die kommen!

Fr 5.6.20, 12:31: Von der Bedeutung eines vernünftigen Fundaments beim Hausbauen weiß schon die Bergpredigt. Ein Haus, das auf Sand gebaut ist, heißt es dort in einem Gleichnis, hält keinem Sturm stand. Nun weiß ich nicht, welche Überlegungen beim Bau unseres Gemeindehauses in den frühen 1970er Jahren eine Rolle gespielt haben, aber klar ist: Nachdem im Sommer vorigen Jahres auch in Kladow „ein Platzregen fiel und die Wasser kamen und die Winde wehten“ (Mt 7,25), haben wir bei uns unten im Gruppenraum der Kita einen Wasserschaden. Zum Glück haben wir mit der Kladower Baufirma Bernd Pagel und Sven Glaser von den Trocknungsspezialisten von Pöppingshaus & Wenner starke Partner gefunden, die die Sanierungsarbeiten in die Hand genommen haben. Und weil mich immer wieder Anfragen erreichen, wie es denn inzwischen aussieht, hier eine kurze Bauinfo: Die Trocknungsphase ist inzwischen abgeschlossen. Die Außenarbeiten können voraussichtlich nächste Woche beginnen. Sie werden rund zwei Wochen dauern. Danach kann der neue Fußboden verlegt werden. Und wenn alles klappt, sind wir zuversichtlich, dass der Kita-Betrieb mit Beginn des neuen Kita-Jahres nach den Sommerferien wieder aufgenommen werden kann.

Do 4.6.20, 12:32: Die großen Fragen des Lebens werden bei uns meist am Frühstückstisch verhandelt. Heute Morgen war Hannes, mein vierjähriger Sohn, allerdings nur müde. „Gott schläft auch noch“, murmelte er und wollte unser Tischgebet nicht mitsprechen. „Nein, Gott schläft nie“, widersprach Mina, sechs Jahre. Und meine Tochter wurde richtig wütend. Warum, erklärte sie so: „Wenn Gott schläft, kann er die Welt nicht mehr in seiner Hand halten.“ Das hat mir auf Anhieb eingeleuchtet. Allerdings musste ich etwas später an den Psalmisten im Alten Testament denken, der sich durchaus einen schlafenden Gott vorstellen konnte. In seiner Not ruft er: „Wach auf, Herr! Warum schläfst du?“ (Ps 44,24). Andere stellen sich Gott als Wächter ihres Schlafes vor: „Er schlummert nicht“ (Ps 121,4). Ich schaue auf Jesus, wie er tief und fest schläft, als er mit seinen Jüngern auf einer Bootsfahrt in einen Sturm gerät. „Und sie weckten ihn und sprachen: Meister, fragst du nichts danach, dass wir umkommen?“ (Mk 4,38). Wenig später legt sich der Sturm und Jesus fragt quer durch alle Zeiten: „Was seid ihr so furchtsam?“ – Ich wünsche uns allen, dass wir in Not und Verzweiflung das Vertrauen haben, dass da einer ist, der über uns und unseren Schlaf wacht.

Mi 3.6.20, 14:23: Erster Mittwoch im Monat – und das heißt für mich: Pfarrkonvent. Kollegialer Austausch mit den anderen Pfarrerinnen und Pfarrern aus Spandau. Oder, wie es in bester Theologen-Lyrik über Sinn und Zweck solcher Treffen heißt: „Zu gegenseitigem Dienst aneinander, zur gemeinsamen Arbeit unter Gottes Wort und zum Gebet“ (BTE, 66). Gut, so ein Konvents-Alltag fällt dann meist etwas prosaischer aus. Und oft genug bin schon froh, wenn wenigstens das Frühstücksbüffet verlockend aussieht. Aber heute haben wir uns dank der Corona-Lockerungen nicht nur zum ersten Mal wieder persönlich getroffen. Wir hatten auch spannende Themen. Dabei wurde klar: Durch die Einnahmeausfälle der vergangenen Monate dürften wir eine kirchenhistorische Zäsur erleben, die die Strukturkrise unserer Kirche, in der wir sowieso schon gesteckt haben, noch einmal erheblich verschärft. Und dazu kommt, dass wir in Spandau auch noch ein hausgemachtes Leitungsproblem haben. So viele Probleme, und woher kommt Hoffnung? Für mich vom Apostel Paulus, der in seinem Philipperbrief sinngemäß schreibt: „Dem Evangelium geht es gut“ (Phil 1,12-18). Gott kennt keine Krise. Und die religiöse Sehnsucht ist lebendig, sie nimmt nur dauernd neue Ausdrucksformen an. Was für eine Chance für die Kirche, darauf zeitgemäß zu reagieren. Da mache ich gerne mit!

Di 2.6.20, 13:46: Kleiner Nachtrag zum Weltkindertag gestern. Mich begeistert der Vorschlag von Ex-Bundestagsvizepräsident Hermann Otto Solms (FDP) und anderen, das Wahlalter in Deutschland auf null Jahre abzusenken. Ich finde das gut mit Blick auf die Generationengerechtigkeit. Vor allem aber in Hinblick auf die Frage, wie die Corona-Politik wohl aussehen würde, wenn Kinder mitwählen dürften. Denn natürlich wissen wir: Kleinkinder müssen mit Gleichaltrigen die Welt entdecken. Jugendliche brauchen Sozialkontakte außerhalb der Familien, um selbständig eine eigene Identität zu entwickeln. Aber: Die vergangenen Wochen haben gezeigt, dass die Bedürfnisse von Kindern und Jugendlichen nur eine geringe Rolle spielen. Wie wohltuend ist da der Blick auf die Kindersegnungen in der Bibel. Dort stellt Jesus die Kinder, die damals wie heute am Rande der Gesellschaft standen, als Vorbilder „mitten unter“ (Mk 9,36) uns Erwachsene. Mehr noch: Er weist ihnen eine Mittelpunkt-Stellung bei der Frage nach dem Reich Gottes zu und „umarmt“ sie demonstrativ (Mk 10,16). Das ist mal ein Perspektivwechsel – vom Rand in die Mitte! Und ich finde: Während wir Erwachsenen uns freuen dürfen, abends in den Biergarten und im Sommer das Hotel der Wahl buchen zu können, ist es wirklich an der Zeit, Kinder nicht mehr nur als epidemiologisches Risiko wahrzunehmen!

Mo 1.6.20, 9:31: Das Schöne an einem Sonntag wie gestern ist doch, dass danach ein Montag wie heute kommt. „Es gibt zwei Montage im Jahr, die mir besonders gut gefallen“, hat mir gestern ein Gottesdienstbesucher lachend gesagt, „Ostermontag und Pfingstmontag“. Und mir fällt dazu heute Morgen ein Vers aus dem Markusevangelium ein, der häufig überlesen wird. Ein Vers, bei dem es um das Verhältnis von Arbeit und Ruhe geht. „Geht ihr allein an eine einsame Stätte und ruht ein wenig“, sagt Jesus in Mk 6,31 zu seinen Jüngern. Der Grund ist, dass sie die ganzen Tage so viel arbeiten mussten, dass sie nicht einmal Zeit zu essen und zu trinken hatten. Und für mich bewahrt sich Jesus hier einen menschlichen Zug, der ihn erkennen lässt, dass seine Jünger einfach Ruhe brauchten, Ausgleich, Freizeit, einen Tag und Zeit für sich. In diesem Sinne wünsche ich auch einen erholsamen Ruhe- und Feiertag. Und ich schicke dazu ein Foto von Manfred Gummi, das gestern während des zweiten Gottesdienstes entstanden ist. Alle Plätze in der Kapelle waren besetzt. Aber auf dem Vorplatz unter den Eichen war auch eine schöne und gottesdienstliche Stimmung. Einen gesegneten Pfingstmontag!

So 31.5.20, Pfingsten, 12:45: Das Thema heute: Wege und Umwege im Leben, immer in der Hoffnung, ans Ziel zu gelangen. Ein Gedanke aus der Predigt heute: „Ich schaue auf unseren Hirten, die Statue, den Guten Hirten, nach dem unsere Schilfdachkapelle benannt ist. ‚Und ob ich schon wanderte im finstern Tal…‘ Wir dürfen darauf vertrauen, dass wir nicht alleine durchs Leben gehen, auch nicht die Umwege unseres Lebens, sondern dass einer bei uns ist, Gott mit uns ist, Schritt für Schritt. Und wir dürfen uns von ihm an die Hand nehmen lassen, ergreifen lassen. Ich darf mich ergreifen lassen. Aber wenn ich ergriffen werden will, darf ich meine Hand nicht wegziehen. Sondern muss sie auch hinhalten, Gott hinhalten, meinem Nächsten hinhalten, allen Nächsten. Das ist Pfingsten. Es ist die Zeit, die Hand auszustrecken. Und zu entdecken, dass da einer ist, der mit mir, mit uns allen geht.“

Fr 29.5.20, 12:49: Für mich ist in diesem Jahr der Schlüsselvers für das Pfingstwunder eine zunächst langweilige Liste. Eine Aufzählung längst vergessener Völker. Von denen saßen damals jedenfalls einige zusammen, in Jerusalem: „Parther und Meder und Elamiter und die wir wohnen in Mesopotamien und Judäa, Kappadozien, Pontus und der Provinz Asien…“ (Apg 2,9). Jesus war gestorben, auferstanden und aufgefahren in den Himmel – seine Jünger blieben zurück und stellten sich die Frage: Und nun? Ratlosigkeit überall, Mutlosigkeit auch. Eine Stimmung, ein bisschen so wie in Corona-Zeiten. Woher soll Mut und Hoffnung kommen? Und ich entdecke zufällig diesen Streckenplan hier mit dem Namen „Metropa“. Dieses europäische Superschnellbahnnetz, ein Kunstprojekt von Stefan Frankenberger. Von Berlin nach Palermo oder Tel-Aviv – schnell, unkompliziert und nur ein Mal umsteigen? Was für ein schöner Wunschtraum. Eine Vision, die für mich das Zeug hat, die Pfingstgeschichte neu zu erzählen. Am Sonntag, in der Predigt, in den Gottesdiensten um 10 Uhr und um 11 Uhr. Schau ich aufs Wetter, stelle ich fest: Im Moment sind Sonne und 20 Grad angekündigt. Also werden wir auf alle Fälle Liegestühle vor die Kapelle stellen und den Gottesdienst nach draußen übertragen. Herzliche Einladung! 


Do 28.5.20, 10:55: „Wir haben uns das alles ganz anders vorgestellt.“ Es gibt kaum einen Satz, den ich zurzeit öfter zu hören bekomme. Von Eltern, die ihre Kinder taufen lassen wollten. Von Brautpaaren, deren Termin auf dem Standesamt immer näher rutscht. Und, wirklich: In diesem Corona-Jahr ist alles anders. Manchmal aber auch alles überraschend schön. Da ist der Taufgottesdienst am vorigen Samstag in der Schilfdachkapelle. Die erste „berührungsfreie“ Taufe meines Lebens. Und das ging so: Der Vater hält die Taufschale, die Mutter führt die Taufhandlung durch, die Geschwister segnen – während ich bei alldem nur im Hintergrund stehe und die passenden Taufformeln dazu spreche. „Ich war ganz stolz“, sagt mir die Mutter hinterher. Und wir alle haben miteinander eine einzigartige Erfahrung gemacht. Anderes Beispiel: Eine Trauung in Corona-Zeiten: Die Trauzeugen denken sich eine ganz besondere Schnitzeljagd aus. Hier bei uns durch Kladow. Und an jeder Straßenecke steht ein Freund der Frischvermählten, der ein Gedicht vorträgt, ein Lied singt, eine Tanzeinlage vorführt. Das geht auch mit Abstand gut. Ich merke: Kreativität kennt keine Beschränkungen, nur Lockerungen. Und einen Bibelvers spreche ich zurzeit mit besonderer Überzeugung: „Es ist nicht gut, dass der Mensch allein sei“ (Gen 2,18).

Mi 27.5.20, 10:55: Also, wenn ich ehrlich bin, habe ich Dinge gerne unter Kontrolle. Am liebsten mein ganzes Leben, aber da kommt irgendwie doch immer alles anders. Kein Wunder aber, dass ich schon immer eine Vorliebe für Zahlen und Statistiken hatte. Die Ordnung, die von ihnen ausgeht, beruhigt mich. Als Kind habe ich mir die aktuellen Bundesliga-Tabellen immer an die Wand gehängt und ganze Nachmittage damit verbummelt. Und noch am Anfang der Corona-Krise habe ich morgens als erstes die neuesten Zahlen studiert. Statistik ist jedenfalls ein altes Geschäft. Und schon vor 5000 Jahren haben Menschen begonnen, Bevölkerungen in Listen zu erfassen oder Ernteerträge zu notieren. In der Bibel steht: Gott hat „alles nach Maß und Zahl und Gewicht geordnet“ (Weish. 11,20). Dabei haben biblische Zahlen auch symbolische Bedeutung. Das beginnt bei der „eins“ für den „einen“ Gott und hört bei der „666“, der großen Rätselzahl der Apokalypse, nicht auf. Doch angesichts der verwirrenden Corona-Zahlen beruhigt mich die Feststellung, dass es im Buch Genesis heißt: „Und Gott sprach“ – nicht „Gott zählte“. Überlegungen, wonach die Welt mit Mathematik gleichzusetzen sei, sind der Bibel eher fremd. Denn am Ende kennt den Sinn aller Zahlen nur der, der ihn bestimmt hat – Gott allein.

Di 26.5.20, 11:29: Auf Kaffee und Kuchen müssen wir nach dem Gottesdienst immer noch verzichten. Ich finde das schade. Und vermisse die zwanglosen Begegnungen, die sich immer auf dem Vorplatz der Kapelle ergeben haben. Andererseits: Wie schön ist die Idee von Karola Wärk, am Ausgang nun Kräutertee der Marke „Liebe pur“ an alle Besucher zu verteilen. Und so manches Gespräch ergibt sich ja auch weiterhin. Am Sonntag habe ich mit einem Ehepaar aus Groß Glienicke gesprochen. Über Gott und die Welt und unser gemeinsames Interesse an Kontemplation und Meditation. Wir haben gemeinsame Erinnerungen an das evangelische Gethsemanekloster in Riechenberg bei Goslar (siehe Foto) ausgetauscht, wo ich einmal eine Zeitlang im Vorstand engagiert war. Und, wer weiß, vielleicht organisieren wir als Gemeinde einmal ein paar Tage „Kloster auf Zeit“. Aber bis es soweit ist, freue ich mich, dass wir einiges aus dem mönchischen Stundengebet auch in unser Kladower Gemeindeleben integriert haben. „Mittwoch in Kladow“ heißt die Andachtsreihe beider Kladower Kirchen. Morgen findet wieder das monatliche Morgengebet statt, die Laudes. Zugegeben, nicht zur Uhrzeit des Hahnenschreis, der biblischen Stunde der Erkenntnis also, dass Jesus der Christus ist. Aber dafür treffen wir uns umso gemütlicher um 9 Uhr in der Schilfdachkapelle. Herzliche Einladung!

Mo 25.5.20, 12:59: Bei uns zu Hause ist etwas Seltsames passiert. Glauben meine Kinder doch tatsächlich, dass sie zaubern können! Und, tatsächlich, einiges spricht dafür. So wollen sie abends immer noch ein Kapitel der Gute-Nacht-Geschichte vorgelesen bekommen. Ich nicht. Und was passiert? Ich lese. Sie wollen Nachtisch haben. Ich nicht. Was passiert? Sie essen Schokolade. Und, gestern, nach der Badewanne, haben sie plötzlich Wunschpunkte im Gesicht. „Wie das Sams.“ Mich haben die roten Punkte an den Lippenstift meiner Frau erinnert, aber ich will nicht kleinlich sein. Doch nun hat der Zauber mal ein Ende! Ich sehe das, schon beruflich, kritisch. Die Bibel verbietet Zauberei (Ex 22,17), ist da aber nicht konsequent. So kann Samson auf die Kraft seiner Zauberhaare (Ri 16,17) vertrauen, versüßt Mose das bittere Wasser von Mara mit einem Zauberstock (Ex 15,25) und verzaubert Elisa eine Quelle mit Salz (2. Kön 2,19–22). Jesus dagegen wird eher von Gegnern unterstellt, Zauberer zu sein. Dabei kommt es ihm darauf an, was in uns Menschen steckt: Selbstheilungskräfte zum Beispiel. „Dein Glaube hat dir geholfen,“ kann er zu Bartimäus sagen (Mk 10,46). Und auch meine Kinder haben die Zauberei nun endlich hinter sich gelassen. Heute Morgen erklärt mir Mattis: „Ich werde lieber Weihnachtsmann.“

So 24.5.20, 12:33: Vor ein paar Tagen habe ich in der Zeitung gelesen, wie wichtig Freunde gerade in Corona-Zeiten sind. Aha, dachte ich. Und das war der Anlass für mich, über Freunde in der Bibel nachzudenken. Aus der Predigt von heute: „Gott schließt am Anfang der Weltgeschichte einen Freundschaftsbund mit den Menschen. Mit seinem Freund und unserem Stammvater Abraham, den er sogar seinen ‚Geliebten’ nennen konnte (Jes 41,8). Gott und die Menschen, eine Freundschaft. An einer meiner Lieblingsstellen der Bibel spricht Gott am Ende eines langen Tages mit Mose ‚wie ein Mann mit seinem Freunde redet’ (Ex 33,11). Gott, Abraham, Mose, alles gute Freunde. Und so geht das im Neuen Testament weiter. Die Geschichte von Jesus mit seinen Jüngern ist auch die Geschichte eines Freundeskreises, eines Freundesbundes, könnte man sagen. Jedenfalls nennt Jesus seine Jünger bei Lukas und Johannes ausdrücklich seine Freunde. Bei Lukas 12,4 heißt es: ‚Ich sage aber euch, meinen Freunden.’“

Sa 23.5.20, 9:52: Es ist für mich eine bleibende Erinnerung: Wie viele Menschen auf dem Höhepunkt der Corona-Krise zur Schilfdachkapelle gekommen sind, um Trost zu suchen. Um eine Kerze zu entzünden, einen Vers der Zuversicht mit nach Hause zu nehmen oder sich einfach über die bunten Ostersteine zu freuen. Vor dem Hintergrund dieser Erfahrung bin ich besonders froh, dass unsere Gemeindeleitung (GKR) entschieden hat, die Schilfdachkapelle nun mit einem neuen Konzept zu öffnen. „Offene Kirche“ heißt ab 25. Mai: Der gesamte Kirchenraum der Schilfdachkapelle, also nicht nur der Vorraum, steht Besuchern immer von Montag bis Samstag in der Zeit von 17 bis 18 Uhr zum persönlichen Gebet oder für eine Zeit der Stille zur Verfügung. Anders ist auch: Es wird in dieser Zeit immer jemand anwesend sein, der – wenn gewünscht – für ein Gespräch zur Verfügung steht. Wir freuen uns über alle, die vorbei kommen.

Fr 22.5.20, 13:30: Gestern haben wir an Himmelfahrt, wie ich fand, einen schönen Gottesdienst gefeiert. Und die Stimmung war auch so gut wie das Wetter. Deshalb freue ich mich nun umso mehr auf die Gottesdienste am Sonntag. Zumal ich über ein schönes Thema predigen kann – über die Freundschaft Gottes mit uns Menschen. Um die beiden Freunde David und Jonathan wird es gehen, aber auch um eine meiner Lieblingsstellen in der Bibel, wo sich Gott mit Mose unterhält „wie mit einem guten Freund“ (Ex 33,11). Freunde und Freundschaften – und was sich in der Zeit der Lockerungen dabei verändert: Herzliche Einladung! Die Gottesdienste finden wieder um 10 Uhr und um 11 Uhr statt.

Do 21.5.20, 12:36: Über Abschiede und Neuanfänge – aus der Predigt zu Christi Himmelfahrt von heute: „Die Bibel macht uns am Beispiel von Himmelfahrt vor, wie das gehen kann mit dem Abschied nehmen. Sie verschweigt nicht, wie schwer das war, damals, nach der Himmelfahrt von Jesus, als keiner seiner  Freunde so recht wusste, wie es nun ohne ihn weiter gehen soll. Ohne ihn? Denn irgendwie da ist er weiterhin noch, das merken sie bald. Nur eben auf eine andere Art spürbar: In ihren Herzen, als eine Kraft, die sie begleitet, als Quelle, aus der sie immer wieder schöpfen können. Und so ist er, Jesus, durch alle Jahrhunderte auch für uns bis heute noch spürbar und erfahrbar. Immer dann, wenn Liebe unser Handeln prägt, wenn wir anderen Menschen ehrlich begegnen, wenn wir verzeihen oder uns verziehen wird. Dann ist Jesus und das, für das er gelebt hat und für das er gestorben ist, mit im Spiel.“

Mi 20.5.20, 11:33: Seit dieser Woche gehen unsere Kinder wieder zur Kita. Und nach zehn Wochen zu Hause war die Vorfreude groß. Am ersten Tag sind alle drei schon ohne Wecker um kurz vor sechs wach gewesen und haben sich alleine angezogen. Ich kann mich nicht erinnern, dass das schon einmal vorgekommen ist. Gut, der Pullover von Mattis war falsch herum und der etwas schwierige Knopf seiner Bauarbeiterhose noch offen. Ungeduldig stand er so neben dem Bett: „Papa, frühstücken!“ Und, zack, war meine Bettdecke weggezogen. Nach nur zwei Kita-Tagen konnten wir Eltern gestern zufrieden feststellen, wie schön es ist, wenn Kinder nicht nur morgens hellwach, sondern auch abends müde sind. Wenn Mattis kaum das Ende vom Ohrenbär im Radio erlebt, weil die Augen schon zufallen. Wenn Mina nicht einmal mehr Lust hat, ihr Bibi-und-Tina-Lieblingsbuch anzuschauen. Ach, lieber Gott, wie schön ist es, wenn Kinder laufen und matt werden, wenn sie wandeln und müde sind (nach Jes 40,31). Lass sie schlafen, den Abend und die ganze Nacht lang, und nicht wie Adler auffahren. Denn so ist das: Wenn die einen schlafen, bekommen auch die anderen neue Kraft.

Di 19.5.20, 9:48: Übermorgen ist Himmelfahrt. Und das ist so ein Feiertag, der für mich durch einen Vers aus der Apostelgeschichte eine Bedeutung bekommt. Die Stelle meine ich, als Jesus gerade gen Himmel aufgefahren ist und die Jünger ratlos am Boden zurück bleiben. Keiner von ihnen weiß, wie es weiter gehen soll, als zwei Männer in weißen Gewändern auftauchen, die vorher keiner bemerkt hatte. Sie fragen: „Was steht ihr da und schaut in den Himmel?“ (Apg 1,11). Und diese Frage geht für mich quer durch alle Zeiten. Denn: Was stehen wir häufig da und schauen in den Himmel? Ich fühle mich ertappt. Und zwar immer dann, wenn ich Schwierigkeiten habe, mich von Altem zu lösen, mich aus Gewohnheiten zu befreien, den Blick nach vorne zu richten. Das ist auch Himmelfahrt, für mich. – Ganz himmelfahrtsmäßig beschwingt starten wir am Donnerstag in den Gottesdienst. Um 11 Uhr in der Schilfdachkapelle. Mit Musik von Astor Piazzolla zum Eingang. Und wer unseren Organisten Michael Hoeldke schon einmal Tango spielen gehört hat, der weiß: Das wird … himmlisch. Herzliche Einladung!

Mo 18.5.20, 13:08: Es ist jetzt ein paar Wochen her, da stand ich morgens vor unserem Schlüsselbrett und dachte: „Das darf jetzt nicht wahr sein.“ – „Hast du meinen Autoschlüssel gesehen?“, rief ich durchs ganze Haus. „Hängt der nicht am Schlüsselbrett?“, antwortete meine Frau von irgendwoher. Nein, hängt er nicht, dachte ich grimmig. „Hat ihn einer von euch gesehen?“, rief ich in Richtung Kinderzimmer. „Vielleicht am Schlüsselbrett?“ Nein, Herrgott noch mal. Langsam verlor ich die Fassung. Auch, weil uns gerade erst das Auto geklaut worden war und ich mich nur allzu gut an das Gespräch mit der Versicherung erinnern konnte, ob wir denn auch wirklich alle Originalschlüssel hätten… Ich seufzte. Und suchte. Erst im Haus, dann im Garten, in der Garage. Dann von vorne. Nichts. Entnervt ging ich schließlich zu Fuß ins Gemeindebüro. Gestern Abend stand ich vor unserem Kleiderschrank, nahm die alte graue Hose heraus, die ich nur selten anziehe. Aber, Moment, in der Hosentasche…? Gibts doch nicht, der Autoschlüssel! „Freut euch mit mir“, sagt Jesus Christus, nachdem er wiedergefunden hat, was verloren war. „Ich sage euch: So wird auch Freude im Himmel sein über einen Sünder, der Buße tut, mehr als über neunundneunzig Gerechte, die der Buße nicht bedürfen“ (Lk 15,7).

So 17.5.20, 14:53: Neue Gewohnheiten stellen sich ein, Schritt für Schritt. Im Alltag, aber auch im Gottesdienst. Heute war in der Schilfdachkapelle zu spüren, dass vieles, was vorigen Sonntag noch fremd war, langsam vertraut wird. Wie wohltuend! – Ein Gedanke aus der heutigen Predigt von Sabrina Fabian: „Sonntags geht ein Gebet um die Welt. Es erklingt in Kirchen auf allen Kontinenten, in Wohn- und Schlafzimmern auf der ganzen Welt: das Vaterunser. Jeden Sonntag, wenn ich es bete, kann ich mich verbunden fühlen mit dieser weltweiten Gemeinschaft von Menschen, die beten, was ich bete. In unterschiedlichen Sprachen, zu unterschiedlichen Zeiten, und doch stimmen wir gemeinsam ein… Wie ein Popsong, der ins Ohr geht und im Kopf bleibt und dessen Melodie Menschen auf der ganzen Welt summen können… Und dann war da vergangene Woche ein Moment, hier in der Schilfdachkapelle. Ich durfte das Tagesgebet sprechen. Und ich stand da und sagte: ‚Lasst uns beten!‘. Endlich wieder seit acht Wochen. ‚Lasst uns beten!‘… Wie viel mir das bedeutet, habe ich erst vergangene Woche in diesem Moment verstanden. Wie sehr ich mich gefreut habe, das zu sagen. ‚Lasst uns beten!‘ Und das ist ja im VaterUNSER eigentlich schon angelegt… Das Vaterunser ist ein Gemeinschaftsgebet.“

Sa 16.5.20, 11;01: In einer idealen Welt wüssten wir nicht nur, was richtig wäre, wir würden es auch noch machen. In einer idealen Welt hätten wir beispielsweise längst auf die Mahnungen der Klimaforscher gehört – und unsere Politik angepasst. In einer idealen Welt würden wir auch auf die Worte von Virologen hören – und keine seltsamen Kompromisse eingehen. Wir wüssten in einer idealen Welt, dass es vielen Eltern schwer zu vermitteln ist, dass Kinder immer noch nicht oder nur unter Mühen in die Kitas und Schulen zurückkehren dürfen. Und wüssten, dass es keine gute Idee ist, die Bundesliga mit Geisterspielen fortzusetzen. Weil wir verstehen würden, dass es Jugendlichen nur schwer vermittelbar ist, auf Körperkontakte zu verzichten, wenn sich gleichzeitig Fußballer beim Freistoß Schulter an Schulter aufstellen. In einer idealen Welt würde ein Soziologe wie Berthold Vogel nicht bezweifeln, dass Krisen wie die derzeitige etwas an unserem Verhalten ändern. Doch: Die Welt ist nicht ideal, war es auch noch nie. Und gerade deshalb brauchen wir so fröhliche Idealisten wie Jesus Christus, der in einer unvollkommenen Welt sagen konnte: Schaut doch hin, das Reich Gottes ist schon mitten unter euch (Lk 17,21). Er wusste, dass wir schon alles haben, was wir zum Glück benötigen. Dass wir es nur begreifen und ergreifen brauchen. Der nur deshalb sagt:  „Tut Buße“ (Mt 4,17). Und das hatte und hat nichts mit Fasten und Verzicht zu tun. Das bedeutet wörtlich nichts anderes als: „Ändert euer Denken!“ Eine Mahnung, damals so aktuell wie heute.

Fr 15.5.20, 12:31: Jetzt am Sonntag, am 17. Mai, finden die nächsten Gottesdienste in der Schilfdachkapelle statt. Wieder um 10 Uhr und um 11 Uhr. Und wieder versuchen wir, gottesdienstlich angemessen mit den Herausforderungen der Sicherheitsvorgaben umzugehen. Die ersten beiden Gottesdienste vorigen Sonntag waren hilfreich. Die Erfahrungen daraus bauen wir nun mit ein. Leider kann ich diesmal persönlich nicht mit dabei sein. Ich stehe aus privaten Gründen nicht zur Verfügung. Aber ich bin froh, dass Katrin Buchholz nach Abschluss ihrer Lektorinnenausbildung den Gottesdienst leiten wird. Und die angehende Pfarrerin Sabrina Fabian (geb. Greifenhofer), die viele noch aus ihrer Zeit in der Konfirmandenarbeit und als Gemeindepraktikantin kennen, wird die Predigt halten. Worum es geht, hat sie zwar nicht verraten. Nur so viel: Der kommende Sonntag heißt im Kirchenjahr Rogate, lat. „Betet“. Wie passend, denn selten zuvor ist wohl so viel gebetet worden wie in den vergangenen Wochen. Auf welche Weise das Gebet uns alle verbindet, ist sicher auch ein Thema der Predigt. Herzliche Einladung!

Do 14.5.20, 10:57: „Papa, mir ist so langweilig“, sagt Mina gestern. Meine Tochter, sechs Jahre alt, sitzt auf dem Sofa, lässt die Beine baumeln. „Laaangweilig.“ Und mein erster Impuls ist: Sofort zu springen, mit schlechtem Gewissen, um Abwechslung zu bieten. Das arme Kind, denke ich, seit Wochen zu Hause, nur mit Mama und Papa zusammen. Doch schon mein zweiter Gedanke ist: Mir soll auch endlich mal wieder langweilig sein. Am besten sofort. Mir sind diese Zeiten zu aufregend: Immer nur Krise, die größte Krise überhaupt, Jahrhundertkrise, von morgens bis abends. Kein Tag ohne neue Corona-Lage. Und mir reichts! Also suche ich wie so oft Trost in der Bibel, im Buch Genesis, ganz am Anfang der Schöpfung. Als Gott das Licht von der Finsternis trennt, die Erde und das Meer und alles erschafft, was so lebt. Da heißt es: „Und Gott sah, dass es gut war.“ (Gen 1) Ach, was für eine Ruhe und Gemütlichkeit nach all der Anstrengung. Hatte Gott nach der Schöpfung seines Jahrmilliardenwerks vielleicht auch Langeweile? Mal ein bisschen, vielleicht am Sonntag? Weiß ich nicht. Aber ich nehme mir vor, wieder mit mehr Ruhe und Gemütlichkeit durch meine Tage zu gehen. Und zu sehen, was gut ist.

Mi 13.5.20, 9:21: So langsam nimmt das gottesdienstliche Leben unterm Schilfdach wieder Fahrt auf. Und so findet heute Abend auch zum ersten Mal seit Anfang März wieder die meditative Andacht statt. Mit Abstand und ohne Gesang, um 18.30 Uhr in der Kapelle. Und mit Ruhe und einer Zeit gemeinsamen Schweigens. Ich freue mich darauf, denn ich weiß, wie gut mir diese ca. 20 Minuten persönlicher Stille immer wieder tun. Gerade nach einem hektischen und vielstimmigem Alltag. Wie gut ist es da, am Ende des Tages noch einmal zur Ruhe zu kommen, einfach nur eigenen Gedanken nachzuhängen, Gemeinschaft zu erleben oder ins Herzensgebet zu gehen – zum Beispiel mit der Meditation des biblischen Psalmwortes: "Seid stille und erkennet, dass ich Gott bin!" (Ps 46,11)

Di 12.5.20, 12:29: In der Sesamstraße hält Elmo nun auch Videokonferenzen ab. In der Sendung mit der Maus wird Mundschutz getragen. Und wenn sich Erwachsene unterhalten, hören Kinder häufig nur: Corona. Kein Wunder, dass sich das Leben der Kinder zurzeit auch nur um ein Thema dreht. Bei uns zu Hause hat sich inzwischen die Formulierung durchgesetzt: „Dieser blöde Schnupfen.“ Wie andere Eltern auch fragen wir uns: Wie macht man das – gleichzeitig zuversichtlich zu bleiben, die Sorgen ernst zu nehmen, aber keine Ängste zu wecken? Der Kinderbuchillustrator Axel Scheffler („Der Grüffelo“) hat seine Antwort gefunden und sich an einem Coronabuch beteiligt, das gut gelungen ist, das weder verharmlost noch dramatisiert – und das übrigens weitergegeben werden darf. Ach so, heute Morgen bin ich wieder an einem Kinderfenster mit einem selbstgemalten Regenbogen vorbei gekommen. Auch so eine schöne Aktion, die Mut macht – von Kindern für Kinder:  #regenbogengegencorona erinnert an die biblische Zusage, dass sich am Ende immer Hoffnung, Liebe und Zuwendung durchsetzen. Oder wie Gott selber den Menschen nach der Sintflut verspricht: „Solange die Erde steht, soll nicht aufhören Saat und Ernte, Frost und Hitze, Sommer und Winter, Tag und Nacht“ (Gen 8,22).

 

Das Buch gibt es kostenlos auf der Internetseite des Verlags Beltz & Gelberg herunterzuladen. Dafür müsst ihr euch hier anmelden (registrieren) und dann auf „Kostenlos herunterladen“ drücken.

Mo 11.5.20, 13:31: Ein Gedanke von gestern, aus der Predigt zum Sonntag Kantate, 10. Mai 2020: „‚Die Liebe ist langmütig und freundlich‘, schreibt der Apostel Paulus an seine geliebten Korinther (1. Kor 13,4). Er schreibt zeitlose Worte, für die Ewigkeit: ‚Die Liebe eifert nicht, die Liebe treibt nicht Mutwillen, sie rechnet das Böse nicht zu, sie freut sich aber an der Wahrheit, sie erträgt alles, sie glaubt alles, sie hofft alles, sie duldet alles.‘ Und die Frage ist nur: Was heißt das jetzt für uns? Ich mache mal einen Vorschlag für die gelebte Nächstenliebe in den Zeiten des Virus: Die Liebe tritt nicht aus dem Sportverein aus, nur weil zurzeit kein Training stattfindet. Die Liebe bestellt beim Italiener zum Mitnehmen, denn noch dürfen wir uns dort nicht hinsetzen. Die Liebe sieht die Not der Armen und Bedürftigen und spendet großzügiger als sonst. Die Liebe trägt Mundschutz, auch wenn es blöd aussieht. Die Liebe tut, was nötig ist.“

So 10.5.20, 13:06: War das nun das Ende vom Lied? Oder der Anfang von etwas Neuem? Heute haben wir in der Schilfdachkapelle die ersten zwei Gottesdienste nach acht Wochen gefeiert. Ohne Gesang, ohne Körperkontakt, dafür mit Abstand. Und, das können wohl alle bestätigen, die dabei waren: Es war anders. Überraschend für mich, dass um 10 Uhr an die 30 Besucher da waren, um 11 Uhr – also zur gewohnten Gottesdienstzeit – keine 20 Besucher. Und die Stimmung? Ich würde sagen: nachdenklich bis schwer. Auch wenn Fröhlichkeit und Leichtigkeit sicher nicht zu erwarten waren, hat mich das doch überrascht. Und sonst? Der Gesang hat gefehlt, klar. Dafür war alles etwas meditativer, mit neuen liturgischen Formen, vielleicht tröstlicher, persönlicher, mit Kerzenentzünden. Eine großes Dankeschön an alle, die mitgeholfen, mitgemacht und mitgefeiert haben: Vor allem an Sabrina und Alina für die liturgische Gestaltung, an Karola und Katrin für den Kirchdienst – und natürlich an Christoph und Manfred für die neue Mikrofonanlage. Uns allen einen gesegneten Sonntag!

Fr 8.5.20, 12:32: Ich freue mich sehr, dass ich endlich wieder zum Gottesdienst einladen kann. Denn am Sonntag ist es soweit: Um 10 Uhr und 11 Uhr feiern wir jeweils einen auf 40 Minuten verkürzten Gottesdienst. Damit und mit weiteren Regeln wollen wir die Vorgaben einhalten, damit sich alle Gottesdienstbesucher auch in diesen Corona-Zeiten wohl und sicher fühlen können. Auch den Mindestabstand werden wir einhalten. Und gerade deshalb lautet das Thema im Gottesdienst: Nähe und Berührung. Es soll um gelebte Nächstenliebe gehen, die derzeit vor allem bedeutet: Tun, was nötig ist. Aber was ist nötig? Ich freue mich auf alle, die am Sonntag dabei sind! Und verstehe jeden, der noch etwas abwarten möchte. Heute aber erst einmal allen noch einen schönen und sonnigen Feiertag zum Tag der Befreiung!

Do 7.5.20, 10:34: Zum 75. Mal jährt sich morgen, am 8. Mai, das Ende des Zweiten Weltkriegs. Der „Tag der Befreiung“, wie Richard von Weizsäcker in seiner berühmt gewordenen Rede zum 40. Jahrestag sagte. Ein Tag, ganz im Zeichen der Erinnerung. Die evangelische Kirche beteiligt sich an diesem Gedenken. Auch, weil wir als Kirche um unsere besondere Verantwortung wissen. Als Kirche hatten wir unseren Anteil daran, dass es zu Nationalsozialismus, Deportationen und Massenmorden kommen konnte. Und für mich persönlich gehört das Stuttgarter Schuldbekenntnis aus dem Oktober 1945 deshalb zu den wichtigsten Glaubensdokumenten unserer Kirche. Martin Niemöller hat darin die Formulierung gefunden: „Mit großem Schmerz sagen wir: Durch uns ist unendliches Leid über viele Völker und Länder gebracht worden.“ Und der erste EKD-Ratsvorsitzende Otto Dibelius fügte hinzu: „Wir klagen uns an, dass wir nicht mutiger bekannt, nicht treuer gebetet, nicht fröhlicher geglaubt und nicht brennender geliebt haben.“ Gerade in einer Zeit, in der wir feststellen, dass Frieden und Freiheit keine Selbstverständlichkeiten sind, verstehe ich das als aktuelle Mahnung. Der barmherzige Gott segne unser Gedenken!

Mi 6.5.20, 10:15: Nein, stimmt doch gar nicht, dass die Kinder bei mir machen können, was sie wollen. Ich wäre doch auch sonst heute Morgen schon um 7 Uhr unten auf dem Spielplatz am See gewesen, ganz bestimmt, um zu schaukeln, klettern und buddeln… Aber im Ernst: Viele Maßnahmen zur Eindämmung der Pandemie treffen Kinder ganz besonders hart. Und dazu gehört natürlich die Schließung von Kitas und Spielplätzen. Im Kinderspiel geht das Dasein in wiederholbarer Gegenwärtigkeit auf, heißt es in der Theologie. Was das bedeutet, kann man täglich auf dem Spielplatz sehen. Übrigens gibt es eine da eine schöne Stelle in der Bibel, wo von der Freude Gottes am Spiel die Rede ist. Im Buch der Sprüche, wo Gott als erstes Kind seiner Schöpfung die Weisheit erschafft. Und was macht Weisheit im Gegenzug? Sie spielt unter den Augen Gottes – und er freut sich daran (Spr 8,22-36). Oder bei Jesus, der sich sowieso immer über die Kinder freut und dem Kinderspiel eine besondere Bedeutung gibt, wenn er seinen Jüngern sagt: „Werdet wie die Kinder“ (Mt 18,3). Nicht nur Eltern wissen das: Kinder sind das Leben selbst – und das Leben spielt. Warum würden wir sonst sagen: „Wie das Leben so spielt“? Ich stelle mir heute deshalb nur eine spielerische Frage: Wann bin ich Mitspieler des Lebens und wann Spielverderber?

Di 5.5.20, 10:17: Nein, ein Freund von Hörbüchern bin ich noch nie gewesen. Trotzdem habe ich es neulich wieder versucht, als ich im Auto unterwegs war. Kurz vor dem Jakob-Kaiser-Platz war ich, als Kommissar Martin Beck gerade dabei war, dem Rätsel um die Tote im Götakanal auf die Spur zu kommen. Doch dann... BEIM KREISVERKEHR DIE DRITTE AUSFAHRT NEHMEN, DANN WEITER AUF DER A111. Das Navi, der Spannungskiller! Navi und Krimi – keine gute Idee. Krimi und Bibel dagegen – sehr gute Idee. Die Kriminalfälle der Bibel sind tolle Geschichten. Der Freiheitskämpfer Mose in Ex 2, der den ägyptischen Aufseher erschlägt – Empathie mit einem Mörder? Oder in 2. Sam 11 die Elitenkritik an König David, der seinen besten General umbringen lässt, nur um sich an dessen Frau ranzumachen. Und, natürlich, das Gerichtsdrama in Mt 27 um den Wanderprediger aus Nazareth, der unter falscher Anklage zum Tod am Kreuz verurteilt wird. Im Auto habe ich aber zu Sjöwall/Walhöö gegriffen. Nicht, weil das schwedische Autorenpaar in den 1960ern das Genre der müden und magenkranken Ermittler begründet hat, in dessen Erfolgsspur später Henning Mankell oder Stieg Larsson groß werden konnten. Nein, vorige Woche ist Maj Sjöwall im Alter von 85 Jahren gestorben. Das Hörbuch war mein Abschied: Ruhe in Frieden, Großmeisterin der Kriminalliteratur!

Mo 4.5.20: 9:31: Am kommenden Sonntag können in der Schilfdachkapelle um 10 und um 11 Uhr wieder Gottesdienste stattfinden. Darauf freue ich mich schon sehr. Das „Schutzkonzept“ unserer Landeskirche EKBO sieht allerdings vor, dass Gemeindeveranstaltungen erst einmal noch untersagt bleiben. Das betrifft auch die Kirchenmusik. Proben finden zurzeit nicht statt. Viele unserer Musiker sind aber trotzdem aktiv. Leider habe ich erst (zu) spät erfahren, dass sich täglich um 19 Uhr Menschen an der Kreuzung Pegnitzring und Katzwanger Steig getroffen haben, um sich gemeinsam unserem „Balkonsingen“ anzuschließen. Großartig! Und Mitglieder unseres Posaunenchores gehen zu Menschen, die ihre Wohnung nicht verlassen können. Ein spontan gebildetes Ensemble musiziert zum Beispiel vor dem Seniorenzentrum in Nauen oder einer betreuten Wohnanlage in Wustermark. Liebe Barbara, lieber Peter, ganz herzlichen Dank für euer Engagement und das der anderen Musiker. Wie schön, dass ihr vielen Menschen auf diese unkonventionelle Weise eine so große Freude macht!

So 3.5.20, 10:46: Irgendwie hatte ich gehofft, dass die Zeiten endlich vorbei sind, als uns die Kinder noch in aller Herrgottsfrühe aus dem Schlaf gerissen haben. Aber gut, Ausnahmen bestätigen die Regel. Heute Morgen, es war noch dunkel, kniff mir eine kleine Kinderhand in die Nase. „Papa, wann stehen wir auf?“ Mattis, unser Frühaufsteher. Seufzend und ohne die anderen zu wecken, rappelte ich mich hoch. Ich brauchte frische Luft und öffnete das Fenster. Und: Was war das für ein Lärm draußen! Oder, nein, Moment: Was war das für ein Konzert draußen! Jedenfalls kann nun auch ich bestätigen, dass die Vogelchöre im Lockdown lauter und vielstimmiger geworden sind. Gerade habe ich noch gelesen, dass unter dawn-chorus.org eine akustische Weltkarte der Vogelchöre entstehen soll, bei der jeder die heimische Klangkulisse hochladen kann. Ein schönes Projekt zur Erhaltung der Artenvielfalt. Übrigens heißt der Sonntag heute im Kirchenjahr „Jubilate“. Er steht im Zeichen des Schöpfungsjubels. Deshalb heute Worte von Franziskus, aus dem Sonnengesang: „Gelobt seist du, mein Herr, durch Bruder Wind und durch Luft und Wolken und heiteres und jegliches Wetter, durch das du deinen Geschöpfen Unterhalt gibst.“ Ich gehe jetzt zur Schilfdachkapelle und läute gleich die Glocken, allen einen gesegneten Sonntag!

Sa 2.5.20, 10:31: Ja, auch ich gehöre zu denen, die in den vergangenen Wochen das Joggen entdeckt haben. Wieder entdeckt, muss ich in meinem Fall sagen. Denn als ich so um die dreißig war, hatte mich schon einmal eine kurze, aber heftige Liebe zum Laufen ergriffen. Wobei ich normalerweise auf das abrupte Ende meines ersten Marathons an einem Straßenpoller kurz vor dem Zieleinlauf erst nach zwei bis drei Gläsern Rotwein zu sprechen komme. Wie dem auch sei. „Vogel fliegt, Fisch schwimmt, Mensch läuft“, hat es Emil Zatopek, der Olympiasieger, einmal auf den Punkt gebracht. Und so laufe ich eben wieder. Manchmal vor etwas davon, manchmal auf etwas zu, stets alleine mit mir unterwegs, Schritt um Schritt in der Hoffnung, mir näher zu kommen. Übrigens spielt das Laufen auch in der Bibel eine Rolle. Der Apostel Paulus berichtet von seinem Erlebnis bei einem Wettkampf in der Arena (1. Kor 9,24 ff). Mich aber trägt heute Abend, wenn ich um den Sacrower See laufe gehe und mich nach ein paar Kilometern wahrscheinlich die Kraft verlässt, die Hoffnung auf die Erfüllung des alten Prophetenwortes: „Er gibt dem Müden Kraft und Stärke genug dem Unvermögenden“ (Jes 40,29). Allen Freizeitsportlern wünsche ich zum Wochenende „Flügel wie Adler“ (Jes 40,31).

Fr 1.5.20, 10:27: Heute so etwas wie eine amtliche Mitteilung. Oder auch einfach eine gute Nachricht. Gestern Abend hat unsere Gemeindeleitung, der GKR, entschieden, dass wir ab Sonntag, 10. Mai, wieder Gottesdienste in der Schilfdachkapelle feiern wollen. Wegen der Begrenzung der Besucher auf höchstens 50 Personen und der Einhaltung der Abstandsregeln finden zwei Gottesdienste hintereinander  statt – um zehn und um elf Uhr. Ich freue mich trotz aller schwierigen Umstände auf unbeschwerte Gottesdienste, in denen sich alle Besucher wohl und sicher fühlen können!

Beiträge aus März bis April 2020 gibt es hier.